Mehr Funkwägen, bitte!

■ Das Kiezkulturprojekt »Stilkamm 5 1/2«, eine gescheiterte Eigenwerbe-Veranstaltung und das allgemeine Dickicht der Initativen von Behinderten bis Königen

Auch die beiden Polizisten waren enttäuscht. Gekommen waren sie, »weil wir 'ne Mitteilung kriegten, daß hier eine Veranstaltung stattfinden sollte«. Wären da »so zweihundert Leute gekommen, die auf der Straße rumstehen«, hätte man die Rigaer Straße abgesperrt. Denn, so belehrt der Grünbemützte freundlich, »hier geht allgemeines Interesse vor persönlichem«. Da müßten die Autofahrer eben mal eine andere Straße benutzen.

Tatsächlich hatte die bislang heimatlose Kulturinitiative »Stilkamm 5 1/2« sich für ihr zweitägiges Promo- Fest am Wochenende in der leerstehenden Fabrik Rigaer Straße 14 um polizeiliche Anmeldung samt »Ausnahmezulassungsbescheid« bemüht und sich damit schon bei den Besetzer-Anwohnern unbeliebt gemacht. Sogar eine Unterstützungserklärung der Friedrichshainer Bezirksstadträtin für Kultur hatten die Festveranstalter in ihrer Hand. »Bitte eindringlich um Nichtbehinderung des Kulturfests der Initiative«, schrieb Marita Knauf an die Geschäftsleitung der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain und untermauerte ihren Brief mit »Befürwortungen durch den Bezirksbürgermeister und die Bezirksstadträtin für Umwelt und Naturschutz«. Stattdessen schickte die Wohnungsbaugesellschaft die Maurer, die den ersten Stock der Fabrik hermetisch schlossen und ein Tor im Durchgang zum Hinterhof anbrachten. Am Samstagmorgen bewachte der Wachschutz das Objekt und ließ außer Fernsehteams niemand hinein. Begründung: Erhöhtes Sicherheitsrisiko wegen Glasstaub und Splittern sowie Haftungsprobleme.

Der plötzliche Gemeinsinn der Ex- KWVler überrascht. Hatte sich doch monatelang niemand um den Abenteuerspielplatz für Kellerkinder geschert, bis die Kulturarbeiter kamen. Einen Monat lang hatten rund zwanzig Leute die Räume festivitätsfit gemacht, alle roten, blauen, grünen, weißen Kämme mit der Firmenaufschrift »Berlinoplast«, die einst am selben Ort zwecks Haarpflege ausgespuckt worden waren, zusammengefegt, Glas und Schutt in Haufen geschieden. Und fortan nannte sich die Gruppe »Stilkamm 5 1/2« und trug ebensolchen Schmuck im Haar.

»Stilkamm« ging aus einer interdisziplinären Arbeitsgruppe an der Hochschule der Künste (West) hervor. Als Reaktion auf die brutale Räumung der Mainzer Straße inszenierten die HdKler im Dezember letzten Jahres eine Hauskunstbesetzung in der Thaerstraße, in der die »Polizei die Rolle der Polizei spielt, die Besucher die Rolle der Besucher, das Haus die Rolle des zu besetzenden Hauses, die Presse die Rolle der Presse und die Besetzer die Rolle der Besetzer«. Die Aktion führte zu tiefster Verunsicherung seitens der Exekutive: Da schubsten die einen Cops und dachten ans »Räumen«, die andern ließen sich durchs Haus führen und sich die Pflastersteine kunsthistorisch erklären. Die »1. Mainzer Kunstausstellung« endete mit einer breiten Unterstützung der Kulturprominenz von Bärbel Bohley bis Hermann Treusch und mit dem Angebot des Justitiars der Wohnungsverwalter, ein neues Kunstquartier zur Verfügung zu stellen.

Doch das Objekt der Wünsche, in dem die Gruppe Gespräch, Diskussion, Streit, Feste, Kunst, Theater, Film, Musik, Schule, Werkstatt u.v.m. stattfinden lassen will, steht noch immer aus. Erste Auflage für die Einlösung des Versprechens war ein Nutzungskonzept, was nun in Hochglanzausgabe vorliegt. Dann tat sich lange nichts. Schließlich wurden Häuser angeboten, die nach der Begutachtung durch 'Stattbau‘ als für ein Selbsthilfeprojekt ungeeignet abgelehnt werden mußten. Am Ende wollte die Geschäftsführung nichts vom Angebot des Justitiars gewußt haben. Das Haus in der Rigaer Straße ist mittlerweile vergeben: Mit einer Behinderteninitiative, die darin eine Rehabilitationswerkstatt einrichten will und eine Senatsförderung »in Millionenhöhe« in Aussicht gestellt bekam, wird voraussichtlich diese Woche ein Vertrag gemacht. Die Geschäftsführung habe das Anliegen der »Stilkamm«-Leute »im Kopf«, beteuert ihre Sprecherin. Für die Rigaer Straße hätten sich die »Stilkamm«- Leute wenn schon, dann früher melden müssen. Absorbiert Soziales Kultur und umgekehrt?

Die einen wollen nicht gegen die andern ausgespielt werden. So hatte sich die Behinderteninitiative sogar ausdrücklich für das Kulturfest eingesetzt. Umgekehrt vereint das Nutzungskonzept von »Stilkamm« Kunst, Politik, Lehre und Alltag quer durch alle Sparten. Entsprechend interdisziplinär haben sich die Freunde und Förderer schon im Voraus vernetzt. Das instandzusetzende Haus soll im Rahmen eines HdK-Architekturprojekts im Studienfach »Stadtentwicklung und Entwerfen« um- und ausgebaut, als Ökoprojekt wärmegedämmt und energiedezentralisiert werden. Die Hälfte des Hauses soll dem gemeinsamen Wohnen dienen und damit die Kontinuität der (kiez-) eigenen Hausprojekte garantieren.

Durch- und quergedachte Ideen hat »Stilkamm« en masse: Eine Film- und Videowerkstatt mit dem programmatischen Titel »Camera subjetiv«, Fotolabor, Proberäume »für Lautstärkenexperimente«, eine »Werkstatt zur feigen Schneiderin«, die auch Kostümbildnerei für minderbemittelte Off-Theater-Gruppen sein könnte, ein Theaterraum namens »Kamoper« als »Baustelle für Experimente«, Café und Frauencafé, Kinderladen, Jugendprojekte in Verbindung mit bereits bestehenden Mädchen- und Schülerinitiativen in Friedrichshain, ein Bio-Großhandel namens »Foodcoop«, ein Bild- und Schriftenarchiv exklusiv für den Kiez usw. Nicht zuletzt könnte das künftige Kultzentrum ein »intergalaktisches Kommunikationsbureau« für Verwaltung und Beratung beherbergen, eine Philosophische Praxis und eine »Freie Internationale Universität« auf dem Beuys-Pfad. Vorrangig könnte in dieser Lehranstalt die »Gedankenbank« (ein »runder Tisch, um den Begriff des Geldes anders zu denken«) oder die bereits mehrfach in Erscheinung getretene »Kunstpartei Vogelfrei« tagen. Denn, so heißt es im Konzept, »die Schule soll den Durchgang Tod ermöglichen. Es wird von hinten unterrichtet aus der Tiefe. Es wird ein Raum des Mannes eingerichtet, des >wahrnehmenden Königs< ...« Und: »Der Mensch dürstet nach Schulen.«

Am Samstag standen die Initiativler traurig im Hof vor dem Objekt ihrer Wünsche. Der Polizist sagte: »Am besten wäre für euer Anliegen eine Horde Polizisten. Ich habe nur drei Funkwägen.« Ein anderer solidarisierte sich mit den Gescheiterten: »Ich habe auch die Wohnung renoviert und stehe jetzt auf der Straße.« Ein Marionettenspieler hob für die Kamera die Fäden, ein Student der Wirtschaftswissenschaften in Haßkappe und Hut, der gegen die Bewußtlosigkeit der Arbeitsteilung kämpft, breitete Plakate aus und bespielte sie mit einem Waldhorn: »Das Kapital dringt ein ohne Bewußtsein« war eines, ein anderes: »Ihr richtet nach dem Fleisch. Ich aber gerecht.« Dorothee Hackenberg

Kontakt: Gereon Asmuth, Tel.: West 692 16 61