Steffi Graf entgleiste ins Heitere

Nach der Routinearbeit im Einzel spielte Steffi Graf im Mixed Tenniszirkus mit Henri Leconte  ■ Aus Wimbledon Michaela Schießl

Steffi Graf hatte es mal wieder eilig. Hastig betrat sie den Court, hurtig schlug sie sich ein, zügig begann sie das Match gegen die Indionesierin Yayuk Basuki und eiligst breakte sie der Ärmsten Aufschlag bereits im dritten Spiel. Und das, wo es im Indonesischen nicht einmal ein Wort gibt für schnell, zack-zack, sofort. Ehe sich die 20jährige aus Java überhaupt vorgestellt hatte, war der erste Satz mit 6:2 verloren, kurz darauf der zweite mit 6:3 — doch immerhin: fünf Spiele über Par.

Sehr ärgerlich, wo es doch auch 6:0, 6:0 geht. Unwirsch wedelte Steffi Graf mit dem Schläger, als seien ihr diese Kinderspielchen mächtig lästig. Punkt, umdrehen, Blick auf den Boden heften, an der Grundlinie Kopf heben, umdrehen, Punkten. Der Winnerpoint kann noch so schön sein, die Taktik geradezu genial aufgehen — Steffi Graf bleibt konstant mürrisch. Da mag das Publikum johlen und jubeln, Graf reagiert nicht. Abgeschottet von der Welt regiert einzig die Vorhand. Konzentration. Sprechen wir es aus: Ihr Spiel ist schlichtweg humorlos.

Doch vielleicht gerade wegen ihrer eigenen, nüchternen Veranlagung fühlt sich Steffi Graf fast magisch zu Spaßmachern hingezogen. Und weil ihr Freund Blödel-Otto Waalkes keine „wild card“ erhielt, erkor sie Henri Leconte zum Mixed- Partner — der größte Tennisclown nach Yannick Noah und Mansour Bahrami [...auch wenn zwischen diesen und ihm noch ein Unterschied klafft wie zwischen Charlie Chaplin und Didi Hallervorden, d.säzz.].

„Das hat sich einfach so ergeben. Ich ziehe das Mixed dem Doppel immer vor, weil härter gespielt wird“, verdunkelte Steffi die näheren Umstände der eigentümlichen Paarung. Doch von da an waren der Spekulation Tür und Tor geöffnet. Auf Gängen und Plätzen gab es nur noch ein Thema: Wird sie grinsen, oder wird sie nicht.

Um es vorwegzu nehmen: Es begab sich Ungeheuerliches. Steffi Graf taute auf, lächelte, lachte, und — undenkbar — sie scherzte! Die emotionsgeladene Atmosphäre auf dem Centre Court ließen ihre sonst eher ins Leidende tendierenden Gesichtzüge ins Heitere entgleisen. Mit ohrenbetäubendem Applaus empfing das beste Publikum, das je einen Tennisplatz besetzt hatte, die heiße Mixed-Mischung. Laut zählten sie die Schläge beim Einspielen mit, Lobs wurden von anschwellendem „Huuii“ begleitet, Schmetterschläge mit gepresstem „Ahha“ beantwortet. Ein Nährboden für Leconte, der sich zum Gaudi erst einmal nach allen Seiten verbeugte. Und während sich Steffi inmitten des Lärms gewohnt konzentriert einspielte, ließ er sich hinter ihrem Rücken vom Publikum lieben. Wie ein Pinguin wackelte er mit hochgezogenen Schultern und abgespreitzten Armen über den Platz, glotzte wie ein Rind und machte Faxen.

Im Spiel selbst wurde dann jeder Punkt des heißen Duos bejubelt wie ein Matchgewinn. Ungeduldig drehte sich Steffi am Netz um, derweil Henri noch mit den Ballbuben scherzte. Der dachte nicht daran, sich antreiben zu lassen, und Steffi ließ ihm seinen Spaß. Ein Traummixed mit verteilten Rollen: Leconte sorgt für Stimmung und lockerte Graf, Steffi zügelte Leconte, wenn er vor lauter Show den Sport vergaß. Schließlich, nachdem Graf/Leconte den ersten Satz glatt mit 6:1 gewonnen hatten, wurde es Charles Beckman und Miss Harper zu dumm. Nach einem gelungenen Punkt riß Beckman die Arme in die Höhe und ließ sich feiern wie ein Boxchamp. Wild mit den Armen rudernd heizte er dem Publikum ein, das zur Hälfte prompt zu der US-Paarung wechselte, schon damit vielleicht ein dritter Satz drin sei.

Fortan übertrafen sich Leconte und Beckmann im Späßchenmachen. Nach zwei Assen des Franzosen legte Beckmann den Schläger hin und nahm die Hände hoch und zeigte Bauch; wenn Beckmann aufschlug, blieb Leconte grinsend aufrecht stehen. Das Volk tobte, als Steffi unter einem hohen Ball wegtauchte, den Leconte dann in ballerinenhaften Anwandlung als eingesprungene Pirouette nahm. Doch als er einen Flugball verschlug, jagte ihn Frau Graf schlägerschwingend quer über den Platz — beim Punkten hört der Spaß schließlich auf. Zur Wiedergutmachung raste der Franzose einem schier unerreichbaren Ball nach und wurstelte ihn übers Netz. Steffi lachte, klatschte, lobte. Stars in der Manege. Plötzlich verstand man, was Tenniszirkus bedeutet.

Doch obgleich das Publikum nach einer Zugabe flehte und bettelte und Leconte das Spielchen sichtlich genoß, ließ Steffi Graf keinen dritten Satz zu. 6:2 beendeten sie das Happening. Als Entschädigung gabs Küßchen für Leconte, der, einmal in Schwung, sogleich Frau Harper und Charles Beckmann küßte, bevor sie alle nebeneinander die Manege verließen. Das ausgelassenste Spiel, das Wimbledon je gesehen hat, beendete den ungewöhnlichsten Tag in der Geschichte des Turniers.