„Ich kann noch weiter“

Der lange Zeit verletzungsgeplagte Ralf Jaros sorgte mit 17,66 Meter im Dreisprung für einen der Glanzpunkte beim Leichtathletik-Europacup/ Doppelsieg für die UdSSR  ■ Von Karl-Wilhelm Götte

Frankfurt (taz) — Die Aufholjagd der deutschen Frauen beim Leichtathletik-Europacup blieb vergebens. Ausgerechnet Heike Henkel, die Seriensiegerin dieses Jahres im Hochsprung, verdarb das Happy-End, als sie im Hochsprung nur 1,90 Meter übersprang und Vierte wurde. Mit vier Punkten Rückstand auf die UdSSR (113) reichte es bloß zum zweiten Platz. Bei den Männern gab es mit 108 Punkten den erwarteten dritten Rang hinter der UdSSR (114) und Großbritannien (110,5). Die herausragenden Leistungen des deutschen Teams vollbrachten Kathrin Ullrich (10.000 Meter) und Ralf Jaros (Dreisprung) mit ihren neuen deutschen Rekorden.

Ralf Jaros konnte sein Glück kaum fassen. Mit 17,66 Meter hüpfte er mitten hinein in die absolute Weltklasse und wurde zum Kandidaten für eine Medaille bei der WM Ende August in Tokio. Als bekannt extrovertierter Charakter versuchte er mühsam, seine Emotionen zu kontrollieren, präsentierte sich mit sachlichen Formulierungen und dämpfte die nun auf ihn einstürmenden Erwartungen so gut es ging.

Mit seinem Frankfurter Sprung befreite sich Jaros von einer fünfjährigen Leidenszeit. Das ständig verletzte Knie wirkte sich ganz immens auf sein Selbstwertgefühl aus. Viele sahen in ihm bereits den vollmundigen Simulanten oder einen „geldgeilen Krüppel“, so Jaros, der mit ständigen Versprechungen auf die Zukunft Gelder kassiert. Häufig gab es Momente, wo er einfach Schluß machen wollte. Doch er setzte sich selber einen Maßstab: „Ich wollte immer mit dem Gefühl aufhören, alles getan zu haben, was möglich war.“ Dafür lief er „fünf Jahre alle zwei Wochen zum Arzt“.

Das Verletzungspech begann 1986 in der Halle mit einem Muskelfaserriß. Nachdem er nach einigen Wochen das Freilufttraining wieder aufgenommen hatte, schmerzte ihm im Trainingslager in Italien die Kniekehle. Ein Bluterguß, offenbar aufgrund einer Infektion, stellte sich ein. Es folgten drei Operationen, die jedoch keinen schmerzfreien Sport zuließen. Vor zwei Jahren wurde seine Kniekehle geöffnet und von Knorpelablagerungen befreit. Danach dauerte es weitere eineinhalb Jahre, bis Jaros endlich beschwerdefrei dreispringen konnte.

Der inzwischen 25jährige Düsseldorfer, der bereits 1985 mit 17,29 Metern aufhorchen ließ, wußte immer um seine Fähigkeiten, doch seine Verletzungstortur brachte ihn jahrelang darum, sie einsetzen zu können: „Ich konnte bis 1990 nie einen richtigen Wettkampf machen, nie ein volles Leistungsvermögen zeigen.“ In Bologna im letzten Sommer ließ er es zum erstenmal seit 1986 wieder aufblitzen. Das Signal aus der Krise waren beachtliche 17,08 Meter.

Seitdem gestaltete sich sein Trainingspensum mit seinem langjährigen Coach Eckhard Hutt noch härter und umfangreicher. „1991 habe ich trainiert wie nie“, erzählt Jaros, der durch seine körperliche Statur — er ist 1,93 Meter groß und wiegt 85 Kilo — nach eigener Aussage „eine besondere Kraftveranlagung im Hüftbereich“ hat, die es ihm ermöglicht, „den Schwerpunkt beim Springen schneller als andere zu überwinden.“

Der gelernte Industriekaufmann mit dem Karl-Lagerfeld-Zopf („Blödsinn, mit Vollglatze wäre ich auch nicht Yul Brunner“) begann die Saison dann auch mit zwei Paukenschlägen. Nach 17,28 erreichte er vor zehn Tagen in London 17,47. Das war sein Schlüsselerlebnis. „Da wußte ich, es geht noch mehr.“ In Frankfurt kam das Mehr im vierten Versuch. „Ein optimaler Sprung war es nicht“, schränkte Jaros gleich hinterher wieder ein.

Für den absolut optimalen Versuch hatte er in diesem Jahr noch keine wirklich passende Gelegenheit. Ralf Jaros will sich jetzt aber nicht zum WM-Favoriten stempeln lassen und baut vor: „Es kann auch sein, daß es mit der Substanz bis Ende August bergab geht. Ich bin keine Maschine.“

Seine Grenzen sieht er jedoch noch nicht erreicht. „Ich kann noch weiter. 17,80 traue ich mir dieses Jahr noch zu“, setzt er sich keine bescheidene Marke als Saisonziel. 17 Zentimeter fehlen dann nur noch bis zum Weltrekord von Willie Banks aus dem Jahre 1985. Unter optimalen Bedingungen seien die 18 Meter zu schaffen, und „wenn mal wieder in Mexiko ein Dreisprungwettbewerb stattfindet, möchte ich gerne dabeisein“, läßt Ralf Jaros vielsagend wissen.

2. Tag, Männer, 200 m: Trouabal (Frankreich) 20,60 Sekunden; 5. Schwarthoff (Heppenheim) 21,16; 3.000 m Hindernis: 1. Lambruschini (Italien) 8:29,62 Minuten; 4. Melzer (Dresden) 8:31,89; 5.000 m: 1. Antibo (Italien) 13:21,68; 5. Jens Karrass (Berlin) 13:46,32; Dreisprung: 1. Jaros (Wattenscheid) 17,66 m, 4 x 400 m: 1. Großbritannien 3:00,58 Min., 4. Deutschland 3:02,58; Hammerwerfen: 1. Astapkowitsch (UdSSR) 81,60 m, 4. Weis (Leverkusen) 75,62; 800 m: 1. McKean (Großbritannien) 1:45,60 Minuten, 4. Dehmel (Feuerbach) 1:46,77; 110 m Hürden: 1. Jackson (Großbritannien) 13,31 Sekunden, 2. Schwarthoff (Heppenheim) 13,43; Stabhochsprung: 1. Jegorow (UdSSR) 5,60 m; 4. Zintl (München) 5,40; Diskuswerfen: 1. Horvath (Ungarn) 65,24 m; 2. Schult (Schwerin) 63,24.

Frauen, Weitsprung: 1. Drechsler (Jena) 7,20 m, 4 x 400 m: 1. UdSSR 3:21,77 Min., 2. Deutschland 3:24,20, 10.000 m: 1. Ullrich (Berlin) 31:03,62; Diskuswerfen: 1. Wyludda (Halle) 68,82 m, 1.500 m: 1. Melinte (Rumänien) 4:00,83 Minuten; 3. Kießling (Dresden) 4:05,13; 200 m: 1. Sergejewa (UdSSR) 22,48 Sekunden, 2. Thomas (Sindelfingen) 23,08; Hochsprung: 1. Rodina (UdSSR) 1,98 m; 4. Henkel (Leverkusen) 1,90; 100 m Hürden: 1. Naroschilenko (UdSSR) 12,55 Sekunden; 3. Patzwahl (Leipzig) 13,10.