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Überleben in Ost-Timor — gefangen im eigenen Land

Die ehemalige portugiesische Kolonie Ost-Timor, von Indonesien seit 1975 besetzt, ist für den Tourismus wieder geöffnet/ Doch die indonesische Regierung läßt weiter verhaften, foltern und verschwinden/ Kämpfe in den Bergen, Terror in den Städten und Dörfern/ Militär bereichert sich  ■ Von Ali Pastor

„Nein, ich habe keine Angst zu reden. Wenn sie mich töten, dann sterbe ich als Timorese, aber nicht als Indonesier!“ Der 60jährige ist aufgesprungen, seine Augen blitzen. Als drei Soldaten das Lokal betreten, versucht er vergeblich, die Hand des eingegipsten Armes zur Faust zu ballen, und fährt flüsternd fort: „Den haben sie mir bei der letzten Verhaftung vor zwei Monaten gebrochen — mit einer Eisenstange.“ 1976, bald nach der Besetzung Ost-Timors durch indonesische Truppen, war er wie viele Tausende seiner Landsleute in den „Mato“, in die Wildnis der Berge geflüchtet, um sich den Widerstandskämpfern anzuschließen. Zwei Jahre hat er zusammen mit seinem damals erst 15 Jahre alten Sohn bei der FRETILIN verbracht. Dann haben die Truppen das Heimatdorf zerbombt, die Überlebenden zwangsumgesiedelt, und wie viele andere ist seine Frau an Hunger und fehlender medizinischer Versorgung gestorben. Kaum war er zu den übrigen Kindern zurückgekehrt, da haben sie ihn zum ersten Mal verhaftet. Sein Sohn war im Mato geblieben und gefangengenommen worden. „Heute machen die Soldaten keine Gefangenen mehr“, sagt der Alte, „sie foltern, töten und schneiden den Guerillas den Kopf ab.“

Der Sohn hat noch immer starke Schmerzen. „Mehrmals haben sie mich zum Verhör geholt, weil sie mich verdächtigten, Lebensmittel in den Mato geliefert zu haben. Da haben sie mir Strom an Finger und Hoden gelegt und beim letzten Mal den Kopf an die Wand geschlagen. Ein Jahr ist das jetzt her.“

Frühjahr 1991, Baucau, Küstenort in Ost-Timor. Seit Anfang 1989 erlaubt die indonesische Regierung Ausländern wieder, das bis dahin hermetisch abgeriegelte „Tim Tim“ (Timor Timur) zu bereisen. „Der Krieg ist längst zu Ende, die Region ist etwas rückständig, aber friedlich“, hatte es aus Jakarta geheißen. Das in der nach der gewaltsamen Annexion zur 27. Provinz erklärten Inselhälfte stationierte Militär diene zum Schutz der Bevölkerung vor Banditen, die FRETILIN existiere nicht mehr.

„Warum schicken die dann immer neue Bataillone hierher, wenn sie nur Kriminelle bekämpfen?“ fragt der zweite Sohn des alten Mannes wütend. Bisher sind etwa 40.000 Mann hier stationiert. Tatsächlich gibt es in den Bergen noch aktive Widerstandsgruppen; man spricht von einigen Hundert Kämpfern der FALINTIL, einst der militärische Arm der FRETILIN-Partei. Auf der asphaltierten Küstenstraße, die durch karge, steinige Felder führt, passieren uns alle paar Minuten Militärlastwagen, waffenbehangene Soldaten grinsen mir zu, an der Kühlerhaube prangt der bewährte Mercedes- Stern. Bauern bearbeiten mühsam ihr Land mit dem Grabstock, wohnen in den traditionellen strohgedeckten Steinhäusern. Am Strand lagert eine Gruppe von Stadtbewohnern zum Picknick. Zwei Männer möchten fotografiert werden und wollen mir ihre Folterwunden zeigen. Doch das Eintreffen eines Jeeps, mit dem ein indonesischer Offizier unter Bewachung zum Baden fährt, hindert die beiden dabei. Trotz des allgegenwärtigen Militärs und eines äußerst aktiven Spitzelwesens versuchen immer wieder Einheimische, dem Besucher Einblick in ihre miserable Lage zu geben, riskieren anscheinend bewußt Verhaftung, Tortur, sogar Tod.

„Die Timoresen sind heute Gefangene im eigenen Land. 15 Jahre indonesische Besatzung sind schlimmer als 400 Jahre Kolonialzeit,“ sagt ein italienischer Pater. „Der massive Krieg ist vorbei, doch die Kämpfe in den Bergen, der Terror in Städten und Dörfern geht weiter. Auf dem Land herrscht nächtliches Ausgehverbot, überall sind Spione, die vor allem uns, die Kirche, die Studenten kontrollieren. Jeder Brief, den wir erhalten oder rausschicken, wird gelesen. Oft kommt die Post gar nicht an. Das Militär will aus Ost-Timor nicht weg. Seit 15 Jahren bereichern die sich unter dem Vorwand, einen gerechten Krieg gegen die kommunistische Rebellion zu führen.“

„Die Militärs sitzen in jedem Geschäft mit drin“, fährt er fort. „Sie besitzen Kaffee- und Reishandel, verdienen am besten durch den Schmuggel von Waren aus Singapur. Ihnen gehört auch das Flamboyan- Hotel in Baucau, wo sie im Hinterhof ein Gefängnis eingerichtet haben. Ach, da wohnen Sie — na, da wird man sich solange bemühen, die Schreie der Mißhandelten zu vermeiden.“ Sein portugiesischer Kollege ergänzt, daß nun seine Muttersprache als verdächtig gilt, daß das Abhören von Radio Australia, BBC oder Deutscher Welle Verhaftung nach sich ziehen kann.

Zweifellos hat Indonesien in letzter Zeit in Ost-Timor Straßen gebaut, die von den Portugiesen jahrhundertelang vernachlässigte Infrastruktur des Inselinneren angekurbelt: Den Einwohnermangel in Ost-Timor — Menschenrechtsgruppen schätzen die Zahl der durch Krieg, Folter, Konzentrationslager, Zwangsumsiedlung und Hunger Umgekommenen auf 200.000, ein Drittel der Bevölkerung Ost-Timors — bemüht sich die Regierung in Jakarta wieder wettzumachen. Ganz im Sinne der „Indonesianisierung“ soll die verarmte Osthälfte der „Sandelholzinsel“ durch die landesweite, gleichwohl heftig umstrittene Umsiedlungspolitik „Transmigrasi“ neu belebt werden. „Sie sind überall, die islamischen Bugis aus Sulawesi, die Javaner und Balinesen“, hatte der alte Timorese geklagt, „sie verdrängen uns von den Feldern, nehmen die besten Plätze auf den Märkten ein, unsere Frauen müssen sich bei ihnen als Dienstpersonal verdingen.“

In Dili bietet sich ein 19jähriger Student mir als „Fremdenführer“ an. Er und ein befreundeter Taxifahrer bringen mich nach „Tassi Tolu“, den drei kleinen Seen vor der Hauptstadt, wo der Papst im Herbst 89 eine Messe gelesen hatte. Ein denkwürdiger Ort, hier sind in den vergangenen Jahren Tausende von Ost-Timoresen durch indonesische Soldaten und Polizei ermordet worden. „Vielleicht liegt mein Bruder in einem der Seen“, sagt der Student mit zitternder Stimme. „Mit dem Helikopter haben sie ihn nachts von Lospalos nach Dili verschleppt, ich habe ihn nie wiedergesehen.“ Das Streben nach Unabhängigkeit versuchen die indonesischen Besatzer mit unverminderter Härte zu brechen. Der Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes in Dili bestätigt das brutale Vorgehen gegen politische Gefangene, die er manchmal besuchen darf. Sie hätten auffällig schwere Verletzungen an Kopf und Händen, „gezielte Schläge gegen Intelligenz und Arbeitsfähigkeit der Timoresen.“

Im Hafen von Dili gehen frische Truppen an Land. Vom Militärflugplatz in der Nähe erheben sich wie jeden Morgen wieder die Kampfhubschrauber in die Luft und schwirren in Richtung Berge ab. „Made in Germany“, sagt der Student leise und wie nebenbei. Bekannterweise setzt Indonesien auch auf Fluggerät aus den Planungsbüros im Hause MBB bei den auf Ost-Timor durchgeführten „search and destroy“-Aktionen.

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