Ost-Werften vor dem Kahlschlag

27.000 Werftartbeiter stehen vor der Entlassung/ Unklarheit über Beschäftigungsgesellschaften  ■ Aus Rostock H. Bruns-Kösters

Der große Kahlschlag an den ostdeutschen Küsten findet mit Beginn dieses Monats statt. Zum 30.Juni ist in den neuen Bundesländern der tarifliche Kündigungsschutz ausgelaufen — auch in den Werften des nordostdeutschen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern. Tausende, die jetzt noch mit Kurzarbeit null als beschäftigt gelten, werden der Arbeitslosenstatistik nunmehr ein realistischeres Aussehen geben. Doch obwohl seit Monaten absehbar ist, daß es künftig für Zehntausende bislang im Schiffbau Beschäftigte keine Arbeit mehr geben wird, haben sich die Treuhand-Anstalt und die Deutsche Maschinen-und Schiffbau AG bislang nicht auf ein gemeinsames Zukunftskonzept verständigen können.

Die Deutsche Maschinen- und Schiffbau AG (DMS)ist die Nachfolgerin der DDR-Schiffbau-Kombinate. Diese Kombinate beschäftigten 1989 noch 58.000 Menschen in 23 Tochterunternehmen. Nach dem Anschluß der DDR wurden in einem ersten Schritt 13.000 Beschäftigte entlassen.

Der große Schnitt steht allerdings noch aus. Zwar hat sich der Aufsichtsrat auf den Grundsatz verständigt, daß der Schiffbau in Mecklenburg-Vorpommern erhalten werden soll, die Zahl der Beschäftigten jedoch soll auf 18.000 schrumpfen. Auf den fünf Seeschiffs- und zwei Binneschiffswerften der DMS waren im Juni noch 27.000 Menschen beschäftigt. Außerdem fanden in den Schiffbau-Zuliefererbetrieben weitere 18.000 Frauen und Männer Arbeit.

Von den sieben Werften will der Aufsichtsrat der DMS gerade mal vier erhalten. Die Neptun- und die Warnowwerft in Rostock sollen miteinander „verschmolzen“ werden, was im Klartext bedeutet, daß der Standort Neptunwerft mit 5.213 Beschäftigten aufgegeben wird. Am Samstag ist dort das letzte Schiff vom Stapel gelaufen. Erhalten bleiben sollen die Matthias-Thesen-Werft in Wismar, die Volkswerft in Stralsund und die Peenewerft in Wolgast. Für die Binnenschiffspezialisten auf der Elbewerft in Boitzenburg und der Roßlauer Schiffswerft soll das Aus kommen.

Für alle ostdeutschen Werften hat der DMS-Aufsichtsrat die Vorgabe gemacht, daß sie nach den gleichen Maßstäben wirtschaften wie West- Werften. Und die bewältigen das gleiche Auftragsvolumen wie die Ost-Werften mit etwa einem Drittel der Beschäftigten. Das heißt für die Werften in Mecklenburg-Vorpommern, die in aller Regel um die 5.000 Mitarbeiter beschäftigten, daß sie ihre Belegschaften bis auf 2.000 Beschäftigte herunterfahren müssen.

Von den meisten Zulieferbetrieben will sich die DMS ganz trennen. In dem vom Aufsichtsrat verabschiedeten Konzept ist vorgesehen, die DMS-Betriebe Kühlautomat Berlin, die Gießerei und Maschinenbau Torgelow, die Schiffwerft Oderburg, Schiffselektronik Rostock, sowie das Rostocker Institut für Schiffbau und Umwelttechnik, die Schiffbau- Versuchsanstalt Berlin und den Dampfkesselbau Dresden-Übigbau auszugliedern und gesondert zu privatisieren.

Doch es soll nicht nur geschlossen und verkleinert werden. Das DMS- Konzept sieht als kleine Besonderheit vor, daß auf Rügen eine Werftneugründung vorgenommen werden soll. Die Meyer-Werft aus dem niedersächsischen Papenburg, die angesichts voller Auftragsbücher an die Grenzen ihrer Kapazität stößt, überlegt, sich im Osten der Republik ein zweites Standbein zu schaffen.

Die IG-Metall-Vertreter im Aufsichtsrat haben dem Entlassungskonzept zähneknirschend zugestimmt. „Alternativlos“, urteilte der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und Bezirksleiter der IG-Metall-Küste, Frank Teichmüller. Für ihre Konsensbereitschaft haben die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sich die Zustimmung der Arbeitgebervertreter zu einem besonderen Sozial- und Weiterbildungsplan erworben. Dieses Bonbon heißt „Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften“ und ist inzwischen als „unverzichtbarer Bestandteil“ in einer Unternehmensvereinbarung festgeschrieben worden. Danach darf kein Arbeitnehmer in den DMS- Betrieben entlassen werden, wenn ihm nicht gleichzeitig ein Arbeitsvertrag in einer Beschäftigungsgesellschaft angeboten wird.

An diesen neuzugründenden GmbHs sollen sich die DMS, das Land Mecklenburg-Vorpommern und die Kommunen beteiligen. Die Betriebsstätten sollen in stillgelegten Hallen auf den Werften errichtet werden. Doch was sollen die Arbeitnehmer dort tun? Die IG Metall hofft darauf, daß die Kommune einen guten Teil ihrer Investitionen über diese Gesellschaften abwickelt. Sanierung der Wohngebiete und der Energieversorgung, Verbesserung einer Verkehrsinfrastruktur und der Kommunikationsangebote, an der ganzen Palette der anstehenden Arbeiten sollen sich die ehemaligen Werftarbeiter beteiligen.

Doch dieser für die IG-Metall unverzichtbare Bestandteil des Konzeptes ist bislang in keiner Form abgesichert. Die Kommunalpolitiker in Stralsund haben bereits ihre Ablehnung signalisiert und in Rostock sind guten Worten bislang keine Taten gefolgt.

Der größte Widerstand allerdings kommt von der Treuhand. Das staatliche Superunternehmen will sich nur auf Grund des politischen Drucks an Beschäftigungsgesellschaften beteiligen. Die Anstalt sieht es nicht als ihre Aufgabe, neue Betriebe zu gründen, sondern die alten zu privatisieren. Und wie die Beteiligungen an den Beschäftigungsgesellschaften aussehen werden, wird erst in dieser Woche auf politischer Ebene ausgehandelt. Die IG-Metall argumentiert hingegen, daß der Aufbau des handwerklichen Mittelstandes ohne staatliche Steuerung nicht stattfinden wird. Seit vorletzter Woche stehen Metaller vor den Toren der Werften, um die Kollegen mit Flugblättern gegen Bundesregierung und Treuhand zu mobilisieren. Doch außer einer Massendemonstration im Februar dieses Jahres ist es in Mecklenburg- Vorpommern trotz des anstehenden Werftenkahlschlags ziemlich ruhig geblieben.