Chinas Kommunistische Partei: Standpauke zum 70. Geburtstag

Chinas KP-Führer Jiang Zemin hielt gestern seinen fünfzig Millionen ParteigenossInnen eine Standpauke: Sie sollten gefälligst ihre Pflicht erfüllen, sonst sei die Partei „zur Selbstzerstörung verdammt“.

Fast zwei Stunden lang, heftig schwitzend, sprach er in Beijings Großer Halle des Volkes vor 10.000 eingeladenen Funktionären und einem live angeschlossenen Fernsehpublikum im ganzen Land; der Partei hielt er vor, sie drohe in Bürokratie zu versinken, sich dem Volk zu entfremden „und noch korrupter zu werden“.

Zugleich verkündete Jiang jedoch ungerührt, die Partei sei „im großen und ganzen gut“, und wandte sich gegen jeden Schritt zum Pluralismus oder zur parlamentarischen Demokratie nach westlichem Vorbild.

Natürlich mußte Jiang die Gelegenheit wahrnehmen, einen großen Teil seiner Rede zu einer Geschichtsvorlesung zu nutzen. Mit Lob überschüttete er die toten Helden der Partei — den ehemaligen „Großen Vorsitzenden“ Mao Zedong, Präsident Liu Shaochi, Premierminister Zhou Enlai und Marschall Zhu De.

Unter den noch lebenden Führern erhielt nur der inzwischen 86jährige Deng Xiaoping die Ehre, namentlich hervorgehoben zu werden; Jiang pries ihn als „Herz der zweiten Generation“ der Führung der KP Chinas.

Jiang selbst war als Parteivorsitzender nur Dengs dritte Wahl — „das Herz der dritten Generation“. Armer Jiang. All seine zehn Vorgänger außer Mao wurden in Schimpf und Schande ihres Postens enthoben, und selbst Mao wird heute offiziell bescheinigt, seine Politik sei nur zu siebzig Prozent korrekt gewesen.

Deng war viel zu klug, als daß er jemals selbst die Parteiführung übernommen hätte; er zog es vielmehr vor, im Hintergrund aus einer Position der Macht die Fäden zu ziehen. Und er war auch zu klug, um an diesem heißen Nachmittag die Rede des von ihm eingesetzten Vorsitzenden über sich ergehen zu lassen.

Die chinesischen Zeitungen hatten in den letzten Wochen ihre Seiten mit langen Abhandlungen über den Jahrestag gefüllt; neue Filme feiern die „entscheidenden Schlachten“ des Revolutionskrieges oder den ehemaligen Vorsitzenden Mao Zedong; über 300 Bücher kamen neu heraus, davon mindestens sechzig von Lenin; es gibt sogar 20 offiziell empfohlene Videos für die Karaoke-Bars, in denen man sich vor Playback-Melodien selbst als Sänger produzieren kann.

Nach einem bewegenden Vorspann aus Chinas revolutionärer Geschichte kann man zu diesen Videos Liedchen vortragen wie „Ohne die Kommunistische Partei gäbe es kein neues China“, „Sozialismus ist gut“ und „Bildet ein Bündnis aus Arbeitern, Soldaten und Bauern“.

In den Karaoke-Bars, der neuen großen Mode unter Beijings Jugendlichen, sind sie allerdings kein großer Erfolg. Den Vogel schießen die weichgezeichneten Videofilme und süßlichen Texte von Pop-Songs aus Taiwan ab, wie „Meine Zukunft ist kein Traum“ und „Ich bin kein schlechter Kerl“.

Nicht nur hier fällt die kommunistische Propaganda platt auf den Bauch. Das Problem liegt nicht im Medium, sondern in der Botschaft. Die neueste Mode unter den Jugendlichen sind T-Shirts mit Aufschriften. Einige ironisieren die Parteilinie. Am häufigsten sieht man jedoch einen Spruch, der die allgemeine Haltung gegenüber allen offiziellen Beschwörungen zu politischem Enthusiasmus auf den Begriff bringt: „Mir geht's mies“, lautet er, „laß mich in Ruh'“. Simon Long/Foto: Nelly Rau-Häring