Kohl lobt den Kanzler — mit Zurückhaltung

Anläßlich des ersten Jahrestages der Wirtschafts- und Währungsunion zog Helmut Kohl eine verhalten-positive Bilanz/ Pflichtschuldig kritisierte er auch die Fehler seiner Politik/ Kohl stellte sich vor Krause: Um die Einheit hoch verdient gemacht  ■ Aus Bonn Ferdos Forudastan

Die Wirtschafts- und Währungsunion hat man am 1. Juli 1990 einführen müssen. Und weil das so war, ist sie gelungen. Fast eine Stunde lang verkündete Helmut Kohl gestern der Bonner Journalistenschar diese Botschaft zum Jahrestag der ökonomischen Vereinigung. Und er verteidigte sich, kaum daß er begonnen: Anfang 1990 hätten Tag für Tag Tausende von Menschen aus der ehemaligen DDR ihre Heimat verlassen, in dieser schwierigen Situation sei das Angebot einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion im Februar 1990 ein deutliches Signal der Hoffnung auf dem Weg zur staatlichen Einheit gewesen. Heute gebe es niemanden, wurde der Kanzler nicht müde zu betonen, der bestreite, daß Deutschland sich genau zum rechten Zeitpunkt wiedervereinigt hätte: nämlich als dies international möglich gewesen sei. Verhaltener als sonst und recht knapp pries er das erste Jahr der Wirtschafts- und Währungsunion: Die Renten seien kräftig erhöht worden. Die D-Mark sei stabil. Der Währungsumtausch wirke sich für Sparer günstig aus. Wahrscheinlich würden alle Lehrlinge untergebracht werden können.

Höchstens pflichtschuldig wirkte nach diesen Ausführungen, was Helmut Kohl anschließend an Selbstkritischem hören ließ: Natürlich habe man nicht alles richtig gemacht. Gewiß habe man nicht die Entwicklungen in allen Bereichen vorausgesehen. Fehler seien vor allem bei der Einschätzung der finanziellen Situation unterlaufen. Und er, Kohl, habe sich „ausgesprochen verschätzt“ in der Frage, wie sehr sich die Identität der Menschen Ostdeutschlands „in den Verwaltungen widerspiegeln muß“. Daß die Berliner Treuhand mit ihrer bisherigen Haltung zu den Beschäftigungsgesellschaften die Misere vergrößert hat, mochte er zwar nicht eingestehen. Doch stellte Kohl deutlich in Aussicht, daß sie ihre Position ändern wird: „Ich bin optimistisch, daß es zu einer einvernehmlichen Lösung kommt.“

Viel eher als diese Eingeständnisse ließ der Ton aufhorchen, in dem Helmut Kohl von der Zukunft sprach. Waren vor einiger Zeit noch „blühende Landschaften“ vor seinem inneren Auge erstanden, in die sich die neuen Bundesländer bald verwandeln würden, so bezog er sich gestern nur ganz sachte auf „gerade veröffentlichtlichte Konjunkturanalysen der Wirtschaftsforschungsinstitute“, die davon ausgingen, „daß wir noch im 2. Halbjahr 1991 in den neuen Bundesländern die wirtschaftliche Talsohle durchschreiten“.

Daß er sich für Versprechungen wenig haftbar machen läßt, demonstrierte Kohl, als er sich nach der wachsenden Arbeitslosigkeit in der Ex-DDR fragen lassen mußte: Er sei außerstande, wirkliche Prognosen abzugeben. Man habe noch keine wirklich griffigen Zahlen.

Wirklich ungehalten wurde Helmut Kohl während der Zeremonie des ersten Jahrestages der Wirtschafts- und Währungsunion gestern nur einmal: als er nach seinen schwer unter Beschuß geratenen Parteifreunden, dem Verkehrsminister Günther Krause und dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt Gerd Gies, gefragt wurde. Gegen Krause laufe „gezielt etwas“, um seiner Persönlichkeit zu schaden. Der Kanzler schob sich vor seinen Minister: Er habe sich um die Einheit sehr verdient gemacht. Er kenne wenige, fuhr Kohl fort, die sich wie Krause bis an die Grenze der Erschöpfung für die Einheit eingesetzt hätte. Und Gies müsse sich eben den Vorwürfen stellen. Ferdos Forudastan