Von Wendewürsten und anderem mehr...

■ Viel hat die Wende uns gebracht. Freude und Hoffnung. Ein paar Sorgen freilich auch und jede Menge Merkwürdigkeiten. Nur ein paar will ich hier aufzählen: das Wendebrötchen, den Wendekneiper, die Wendewurst, den Wendeapfel und die Wendebirne./ VON HENNING PAWEL

Das Wendebrötchen

Ewigkeiten seit dem Schlangestehen beim Bäcker um die Ecke. Unter einer Stunde ging es selten ab. Aber was du erwarbst, als echtes Brötchen konntest du's nach Hause tragen. Selbst nach Tagen noch genießbar und als Semmelmehl fürs Kotelett dann sein letzter Gang. Und nun das Brötchen nach der Wende. Der Mund voll gebackener Luft, schuppenähnliche Krustenrudimente, rings im Zimmer verstreut, leichte Gaumen- und Kieferverletzungen von scharfkantigen, aber keinesfalls knusprigen Teigteilen. Schon am Abend der Schöpfung nur noch benutzbar als Bremsklotz für mittelschwere LKW.

Der Wendekneiper

Bei ihm die wohl verblüffendste Wende. Es hat nämlich keine stattgefunden. Noch immer der gestrenge Wohltäter. Er ist es, der dich atzt und tränkt. Der gnädig dein nun dreifaches Geld entgegennimmt. Der dir meistens maulfaul und mürrisch den Teller mit der halb erkalteten Roulade, das Glas Bier hinknallt und ungeduldig wartet, bis du dich nach Begleichen der Rechnung in Dankbarkeit verneigst. Geändert freilich hat sich einiges in der Kneipe. Bierdeckel, Gläser, selbst noch beim Pinkeln dröhnende Musik.

Vor allem aber die neue Idiomatik, die klangvolle Vereinigungssprache. Herbert hinter dem Tresen hat sich eilig dieses Wissen angeeignet. Topsülze, Superpizza und neuerdings sogar ein Brunch. Betroffen kondoliere ich zu dem mir unbekannten und sicher unheilbaren Leiden. Meine Vermutung, ein Kürzel für Bronchialasthma. Weit gefehlt. Brunch ist die geniale Kombination von Frühstück (Breakfast) und Lunch.

Wendewürste

Alle in Silber und Gold verschweißt. Gewaltiger Vorzug. Die Silbernen schmecken ebenso wie die Goldenen. Nach nichts. Was es aber auch für Sorten gibt. Ober-, Unter-, Nebensalami. Puten-, Parma-, Katenschinken. Zynischer Klassenfeind. In Katen hat man zu hungern und keinen Schinken zu schlingen.

Und wieder muß der Käufer nehmen, was umherliegt in den Kaufhallen. Kaum eine ist bisher dazugekommen, in Thüringens Metropole oder anderswo. Welch ein Dorado für die freien Marktwirtschaftler. Ein noch immer unfreier Konsument, der nach alter, bester Manier das kaufen muß, was gerade daliegt. Häufig aber ist nicht viel da. Geheimnisvolles Flüstern der Verkäuferin. „Die Rrr. und Pen. und Cor. kommen einfach nicht nach.“ Die Autos nach drüben rollen Tag und Nacht.

Warum bezieht ihr keine einheimischen Produkte? Thüringer Wurst. Ich hab noch keine bessere gefunden im neugefundenen Deutschland. Thüringer Obst, Thüringer Milch, Thüringer Klosettpapier.

Noch einen Hauch leiser die Antwort. Wir dürfen nicht... In Zukunft also nur noch Wendewurst?

Ich fürchte ja. Sie entspricht so genau unserem Bild in jenen Augen. Zwar gewendete, aber eben Würstchen. Wie gehabt.

Der Wendeapfel

Herrlich schaut er aus. Gewaltig, bunt und glatt wie eine Christbaumkugel. Schmecken müßte er halt auch ein wenig. Die Schale meist so hart wie Straßenpflaster. Wer hineinbeißt, läuft Gefahr, auf ewig sein Lächeln zu verlieren. Der Geschmack erinnert an Stearin. Sicher, eine Ahnung von Apfelaroma ist da auch. So hauchzart freilich wie unsere Hoffnung auf bessere Zeiten. Die Etiketten bringen es an den Tag. Südtirol, Holland, Italien. Windischholzhausen im Landkreis Erfurt halte ich dagegen.

Dort kaufe ich mein Obst. Die guten alten Sorten. Dülmner Rose, Gravensteiner, Edler von Boskow. Sie schlagen zwar nach ein paar Wochen Falten wie Hoffmanns 89jähriger Hausbesitzer. Aber welch ein Geschmack. Nach Kindheit, Sommer und Glück. Wie richtige Thüringer Äpfel.

Doch dieser Geschmack soll uns nun auch vergehen. Sehr beeindruckend die durch Obstplantagen stiefelnden Marktwirtschaftler. Jedenfalls ihre Ignoranz. Hinter ihnen schweres Rodezeug. Raus mit den Äpfeln, Birnen, Kirschen, die noch so schmecken wie die alte Zeit. Achtet mir, gute Thüringer, ich bitte Euch inständig, auf die Williamsbirne. Der Schnaps ist unvergleichlich. Und dennoch, sie ist schwer gefährdet. Wegen ihres Namens. Der Stoph und der Pieck haben schließlich den gleichen getragen.

Nein, da hilft auch kein Hinweis mehr auf Shakespeare oder gar Millowitsch. Am Ende könnte Brandt noch helfen. Doch ob er es tut? Gar zu schnöde haben sie ihn behandelt, diese Thüringer, zur letzten Wahl.

Willy, rette die Williamsbirne. Die nächste Wahl, wir schwören es dir, wird dann vielleicht besser ausfallen.

Henning Pawel ist Schriftsteller und lebt in Erfurt