Burgfrieden im Vielvölkerstaat

■ Erstmals seit Beginn der Kämpfe am Donnerstag gab es in der Nacht zum Montag keine Schußwechsel zwischen Armee und slowenischer Miliz. Obwohl die Ernennung des Kroaten Mesic zum Vorsitzenden des...

Burgfrieden im Vielvölkerstaat Erstmals seit Beginn der Kämpfe am Donnerstag gab es in der Nacht zum Montag keine Schußwechsel zwischen Armee und slowenischer Miliz. Obwohl die Ernennung des Kroaten Mesic zum Vorsitzenden des Staatspräsidiums als Zeichen der Entspannung gewertet wurde, stand am Montag der durch eine EG-Abordnung vermittelte Rückzug der Armee in ihre Kasernen noch aus.

Immerhin beginnen sie jetzt zu verhandeln“, sagt eine slowenische Studentin und räkelt sich im Stuhl eines Straßencafés. Ihr Blick schweift hinüber zum Burgberg und bleibt auf den feinen Renaissancefassaden der Uferpromenade des Ljubljanicaflusses haften. „Unvorstellbar, daß all das hier hätte zerstört werden können.“ Doch die unmittelbare Gefahr ist vorbei, das Aufheulen der Sirenen vom Sonntag schon fast vergessen. Das Leben hat sich wieder normalisiert. Viele der Straßensperren in der Innenstadt sind abgebaut oder so umgeräumt, daß sie den Verkehr auf den großen Straßen nicht mehr behindern. Die Leute sind zur Arbeit erschienen, die Geschäfte haben geöffnet, und auch die Gartenrestaurants und Cafés sind gut besetzt. Die bis Montag morgen allgegenwärtigen, bis an die Zähne bewaffneten Milizionäre sind zum großen Teil abgezogen worden, nur an strategisch wichtigen Punkten schieben sie immer noch Wache.

Im Café verschlingen die Gäste die Zeitungen, viele die nach wie vor größte Tageszeitung 'Delo‘, manche aber auch die neue Ausgabe des Nachrichtenmagazins 'Mladina‘, das gerade druckfrisch von Handverkäufern angeboten wird. Heftig wird die Frage diskutiert, ob der gemachte Kompromiß — die drei Punkte Feuereinstellung, Aussetzung des Vollzugs der Unabhängigkeit Sloweniens um drei Monate und die Wahl des Kroaten Mesic zum Staatspräsidenten — mit dem Bundesstaat unter Vermittlung der „Troika“, der Abgesandten der EG, denn überhaupt weit trägt. „Markovic“, gemeint ist der jugoslawische Ministerpräsident, der am Sonntag abend zu einem Blitzbesuch in Ljubljana weilte, „kommt einfach hierher und meint, es reiche aus, die Verantwortung für die Militäraktion auf die Militärs zu schieben“, schimpft ein Verkäufer, der hier im Café seine Mittagspause verbringt. „Wenn er sich darauf zurückzieht, daß er gar nicht der Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, dann ist dies eine faule Tour. Er trägt die Verantwortung, auch wenn ihm die Kontrolle über die Armee entglitten ist“, bestätigt ihn ein anderer Gast. „Wesentlich aber ist die Frage, was die Suspendierung der Unabhängigkeit für drei Monate eigentlich bedeutet.“

Abzug der Armee unter slowenischer Kontrolle

Im Radio wird die Pressekonferenz im Pressezentrum des Cankarjev Doms übertragen: Präsident Kucan, Außenminister Rupel und Informationsminister Kocin stehen Rede und Antwort. Kucan hebt in seinem Statement hervor, daß als wichtigstes Ergebnis des Gespräches mit Markovic vereinbart wurde, daß die Armee sich unverzüglich, ab sechs Uhr morgens, in ihre Kasernen zurückziehen soll. Eine Kommission, gebildet aus beiden Seiten, soll die Modalitäten klären. Nach wie vor beharren die Slowenen darauf, daß die Ausrüstung vor Ort bleiben müsse, erklärt Informationsminister Kocin. Der Präsident mildert etwas ab, der Abzug müsse unter der Kontrolle der slowenischen Streitkräfte vor sich gehen, die Einzelheiten seien auszuhandeln. Doch bisher, so Kocin, gebe es keine Anzeichen, daß die Einheiten, die aus Kroatien kamen, auch dorthin wieder zurückkehrten. Wenn es zu keiner Übereinkunft käme, müßten von internationaler Seite zivile und militärische Beobachter den Abzug überwachen. Dies sei auch zugesichert worden. „Was ist nun mit dem Moratorium?“ fragt die Studentin.

Knackpunkt sind die Zollstationen

Sie braucht nicht lange zu warten auf die Antwort. „Es ist bisher noch kein Dokument unterzeichnet worden“, ertönt Kucans Stimme aus dem Radio. Gleichwohl sei zugesichert worden, daß Slowenien dem Moratorium zustimme, den Vollzug der Unabhängigkeitserklärung für drei Monate auszusetzen. Dies bedeute, daß nicht alle Funktionen des Bundesstaates in dieser Zeit von Slowenien übernommen würden. Auch werde weiterhin ein Teil der Zolleinnahmen an den Bundesstaat überwiesen. „Das war ja der Knackpunkt, deshalb wollte die Armee ja den Angriff auf die Zollstationen — weil bei einem Wegfall dieser Einnahmen der Bundesstaat empfindlich getroffen worden wäre“, erklärt die Studentin. „Es bleibt somit wohl alles beim alten.“ „Nicht ganz. Die Zollstationen bleiben in slowenischer Hand“, resümiert ein Pädagogikprofessor, der sich zur Gruppe gesellt hat, „jetzt beginnen die Verhandlungen über das Wie und Wann der Realisierung der Unabhängigkeit, so, wie wir es immer gewollt haben. Die EG hat nicht die Suspendierung der Unabhängigkeitserklärung gefordert. Die Konzession mußte um des Friedens willen gemacht werden.“

Gleichung mit vielen Unbekannten

Nicht alle Diskutanten im Café stimmen dieser Meinung zu. Die Unabhängigkeitserklärung sei zwar nach wie vor gültig, die konkreten Verhandlungen könnten beginnen, aber es bestünden nach wie vor viele Unsicherheiten. Der in der Nacht zum Montag endlich gewählte Staatspräsident, der Kroate Mesic, der jetzt Oberbefehlshaber der Armee ist, befände sich doch in serbischer Hand, weil mit dem Wegfall der Stimme von Slowenien vier proserbische Stimmen gegen drei Gegenstimmen im Staatspräsidium stünden. Während der Pressekonferenz geht Kucan auf diesen Punkt ein: „Wenn gegen einen der drei Punkte verstoßen wird, wird die gesamte Übereinkunft hinfällig.“ Die Umstehenden wiegen den Kopf. „Das Agreement ist eine Gleichung mit vielen Unbekannten, eine recht fragile Angelegenheit“, sagt die Studentin. Eine Provokation von irgendeiner Seite genüge, um die Lage wieder zu verschärfen. Nachdenklich geht die Gruppe auseinander. Erich Rathfelder, Ljubljana