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■ Im Osten nichts Neues * Ein Jahr danach, ZDF 22.10, DFF 21.15 Uhr

Und dann ist der Hubert Himmelreich hingegangen, hat sich einfach vier Millionen von der Bank geholt und hat das größte Autohaus hingeklotzt, das Leipzig jemals gesehen hat. Und dann hat er gleich nochmal Geld geholt und hat noch eine Großtankstelle mit Reparaturwerkstatt und Supermarkt rangestellt. Geschlafen hat er trotzdem gut, mit seinen sechs Millionen Schulden im Kreuz. Ja, so war das damals, als die D-Mark kam.

Der Kohlefahrer Hans-Jürgen Korsaly hat hingegen wenig unternommen und wurde deshalb auch kein Unternehmer. Er hat nur sein Geld-Ost in Geld-West getauscht, ein paar Sachen gekauft und den Rest gespart. Dann hat er seinen Arbeitsplatz verloren und per Inserat einen neuen gefunden. Und dabei war er doch Mister Number One, der erste Kunde der Deutschen Bank, der nach der Währungsunion sein Geld tauschte. Auch von Westautos will er nix wissen. Seinem Trabi hält er die Treue, weil: „Det is einfach 'n schönet Ding.“

Das waren dann schon die Höhepunkte der Deutschland-Bilanz von WiSo-Plus zur Währungsunion, ein Jahr danach. Ansonsten: die übliche D-Mark-Nostalgie mit den unvermeidbaren Schlangen vor den Banken des vergangenen Jahres, das übliche Orakel zum wirtschaftlichen Aufschwung, die üblichen langen Gesichter auf den Straßen und auf den Fluren der Arbeitsämter, die üblichen Studiogäste aus den Vorstandsetagen der Industrie (plus Gysi) mit ihrem dezenten Pragmatismus. Warum ist das eigentlich alles immer so sterbenslangweilig, daß es sich kein Mensch mehr anhören kann? Oder ist der Dauerbeschuß an schlechten Nachrichten über die Depression im Osten schuld an unserem Gähnen?

Die Zwischenbilanz des spannendsten gesellschaftspolitischen Experiments der Neuzeit hatte jedenfalls nicht halb soviel drive wie die Achtelfinals von Wimbledon. Serviert wurde allerdings auch überwiegend journalistischer Fast-Food: Einmal quer durch die Wirtschaft in 60 Minuten.

Dazu wurde die Hymne der Telekom gesungen, die den Osten prima verdrahtet und es wurden ein paar Umfragen eingespielt. Im Januar waren noch 62 Prozent aller DDRler von Deutschland enttäuscht, im Juni sind es nur noch 53 Prozent. Auch hier sehen wir sehr schön: Der wirtschaftliche Aufschwung nähert sich mit aller Macht.

Der Ost-Sender DFF hatte andere Zahlen und die etwas lebhaftere Zwischenbilanz. Den Part des Allgemeinplatzwarts, den sich bei WiSo die Studiogäste teilen mußten, übernahm hier Klaus von Dohnanyi vom Ledersofa aus im Alleingang. Wir hören: Der Einbruch war tiefer als erwartet, eine Lawine kann man nicht aufhalten, in einigen Jahren werden wir Land sehen, die Lage ist schwierig, aber hoffnungsvoll. Das Schönste zum Schluß: Am 1. Juli 1990 wurden 17 Millionen Bürger der DDR in die soziale Marktwirtschaft entlassen. Vor allem entlassen. Manfred Kriener