„Väterchen“ Suharto und sein Toshiba-Clan

■ Der Präsident präsentiert Indonesien gern als liberales Wirtschaftswunderland — ohne Vetternwirtschaft und Nationalitätenkonflikte/ VON DOROTHEE WENNER

Ein guter Großvater kann seinen Kindern und Enkeln einfach nichts abschlagen. Ibrahim Suharto, der vor kurzem seinen 70. Geburtstag feierte, scheint sich in dieser Rolle überaus wohl zu fühlen. Allerdings pflegt er mit zunehmendem Alter immer mehr zu übersehen, daß seine blutsverwandten Sprößlinge nicht identisch sind mit der großen Familie Indonesien. Der seit 26 Jahren amtierende Präsident läßt sich von den knapp 180 Millionen Einwohnern des Archipels gern „Pak Harto“ — Väterchen Suharto — nennen und ist bestrebt, dieses Image makellos und rein beizubehalten. Wenn zum Beispiel ausländische Zeitungen über Suhartos ausufernde Vetternwirtschaft berichten und Zustände wie auf den Philippinen unter Marcos diagnostizieren, werden sie in Indonesien einfach verboten.

Nun ist aber die Geschäftstüchtigkeit insbesondere der Präsidentenkinder ein offenes Geheimnis. Jeder Becak-Fahrer in Jakarta weiß, was „Toshiba“ bedeutet. Verkürzt und aneinandergereiht sind dies die Vornamen der „Kids“ — Tommy, Siti, Sigit und Bambang. „Toshiba“ steht für deren Verwicklung in fast alle wichtigen Geschäfte des Landes; vom Straßenbau über Lizenzen für die Ölförderung und den Besitz von Fernsehkanälen bis hin zur Zigarettenfabrikation. Bei keinem größerem Projekt, so klagen Unternehmer in Indonesien hinter vorgehaltener Hand, könnten die Präsidentenkinder ignoriert werden. Das „Väterchen“ kennt den Unmut über diese Zustände, weiß die Vorwürfe aber mit senilem Charme zu entkräften. So soll Suharto persönlich, als die Sprache kürlich wieder einmal darauf kam, einen Witz zum besten gegeben haben: „Wie bekommt man in Indonesien einen Vertrag mit dem Staat? Wenn man ,Toshiba‘ kauft.“ Wie damals, als eine Werbeagentur unseren Bundeskanzler für ein Plakat in eine Birne beißen ließ, so wendet sich die Pointe in diesem Witz zugunsten des Erzählers — der Landesvater selbst. Mit zweifelhafter Raffinesse handelt Suharto getreu dem Motto: Was gut für meine Kinder ist, kann meinem Land nicht schaden.

Die freundlich-harmlose Maske des Alters wird Suharto aller Wahrscheinlichkeit nach auch bei seinem Besuch vom 3. bis zum 7. Juli in der Bundesrepublik nützlich sein. Zwar rufen verschiedene Menschenrechtsorganisationen am Donnerstag auf dem Bonner Münsterplatz und Samstag in Berlin vor dem Brandenburger Tor zu einer Kundgebung auf, doch weil heute beim Stichwort Indonesien vor allem Badeferien auf Bali assoziiert werden, ist es unwahrscheinlich, daß aus der Veranstaltung ein Massenauflauf wird. Ganz anders war die Stimmung bei Suhartos letztem Besuch im Jahr 1970. Das Bundesinnenministerium hatte damals — wie zuvor beim Besuch des Schahs von Persien — wegen befürchteter Attentatsversuche und gewalttätiger Demonstrationen „Sicherheitsstufe I“ angeordnet.

Koloniale Attitüde der Javanesen

Suharto reiste 1970 über die Niederlande nach Deutschland, und dort hatten Ambonesen am geplanten Ankunftstag des Präsidenten die indonesische Botschaft besetzt, wobei ein Polizist erschossen worden war. Die Rebellen, eine malaische Minorität in Indonesien, wollten mit der Besetzung die Loslösung ihrer Provinz von Indonesien erzwingen — auf dem niederländischen Botschaftsdach wehte kurzzeitig die Flagge der Rebellenrepublik „Südmolukken“.

Ethnische Konflikte gehören seit der Unabhängigkeit des riesigen, zentralistisch regierten Vielvölkerstaats zu den sensitiven Themen. Besonders prekär und international heftig kritisiert war die gewaltsame Annexion von Irian Jaya, dem ehemaligen West-Papua, sowie die Annexion der früheren portugiesischen Kolonie Ost-Timor. Auf beiden Inseln verloren im Kampf für die Unabhängigkeit mindestens 200.000 Menschen ihr Leben. Von Seiten der indonesischen Regierung war vor allem der Ressourcenreichtum von Irian Jaya und Ost-Timor ein wichtiges Motiv für die Einverleibung. Mit durchaus vergleichbarer Habgier anerkannte das benachbarte Australien 1978 die Annexion Ost-Timors (die UNO verweigert diesen Schritt bis heute) und begründete die Entscheidung damit, die Provinz sei selbständig nicht überlebensfähig. In diesem Jahr beginnt die Ölförderung in der sogenannten „Timor-Lücke“, wo etwa eine Milliarde Barrel Öl vermutet werden. Der fünfte Kontinent profitiert damit ebenso eigennützig wie die Regierung in Jakarta von der verbrecherischen „Lösung“ des Ost- Timor-Konflikts.

Während die Weltöffentlichkeit am Vorgehen der indonesischen Streitkräfte in Irian Jaya und Ost-Timor noch regen Anteil nahm, vollzog sich die jüngste militärische Operation in Aceh, der nördlichen Provinz Sumatras, fast unbemerkt. Der Golfkrieg hat bekanntlich einen nachrichten-dichten Schleier über die vielen „kleinen“ Kriege der restlichen Welt geworfen. Bereits im Mai 1990 war, nach Angaben der „Aceh Merdeka“ (Bewegung Freies Aceh), eine etwa 18.000 Soldanten zählende Elitetruppe in das Zentrum des separatistischen Widerstands geschickt worden. In der Provinz Aceh leben rund 3,2 Millionen Menschen, die sich — anders als die Mehrzahl der indonesischen Muslims — zu einem fundamentalistisch orientierten Islam bekennen, was bereits seit der holländischen Kolonialzeit immer wieder Konflikte heraufbeschwor.

Mit einem Sonderabkommen Ende der 50er Jahre wollte die Regierung in Jakarta die Muslims von Aceh beschwichtigten: Ihnen wurde Autonomie in Sachen Religion und Erziehungsfragen zugestanden. Trotzdem wollten in Aceh die Proteste gegen die Assimilierungspolitik nicht verstummen. „Einheit in Vielfalt“ lautet zwar eine der fünf Grundprinzipien der Pancasila-Staatsideologie, wozu außerdem noch der Glaube an einen Gott, Menschlichkeit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit gehört. Doch wie viele andere Ethnien Indonesiens klagen die Acehnesen über koloniales Gebahren der Javaner. Auf diesen Ressentiments baut auch die Guerillabewegung GPK (Bewegung zur Störung der öffentlichen Ordnung) ihr einziges, klar und deutlich formuliertes Ziel auf, nämlich Siedler und Soldaten aus Java zu töten.

Seit Jakarta diese Parolen mit brutal operierenden Anti-Terror-Einheiten zum Schweigen bringen will, lebt die Bevölkerung von Aceh in ständiger Angst vor Willkürakten beider bürgerkriegsführender Parteien. Nach Berichten der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation „Asia Watch“ hat sich die GPK zwar einiger Hinrichtungen an Javanern schuldig gemacht, was jedoch nicht mit dem systematischen Morden durch die Regierungstruppen zu vergleichen sei. Zur „Schocktherapie“ werden zum Beispiel einzelne Guerilla-Verdächtige als verstümmelte Leichen auf den Straßen liegengelassen, es soll Massenerschießungen gegeben haben und Folter in den Gefängnissen. Gegenüber der indonesischen Wochenzeitung 'Tempo‘ erklärte ein für die Region zuständiger Major auch relativ unverblümt, er habe seine Leute instruiert, jedes GPK-Mitglied sofort zu töten, Verhandlungen seien unnötig.

Der Bürgerkrieg in Aceh ist auch ein Ventil für die seit langem angestaute Frustration über den ökonomischen Zentralismus. Aceh macht nämlich zahlenmäßig nur zwei Prozent der Bevölkerung aus, liefert aber rund 30 Prozent der nationalen Öl- und Gasexporte. Dieses Geld bleibt und staut sich in Jakarta, wo ein Bankpalast neben dem anderen hochgezogen wird, die Slums in der Innenstadt niedergewalzt werden und in vollklimatisierten, marmorweißen Shopping-centers allen nicht solvent Aussehenden den Zugang verwehrt wird. Zwischen der repräsentativen High-Tech Jakartas und dem ärmlichen Aceh liegen Welten. Wären wir unabhängig, so spekulieren sich betrogen fühlende Acehnesen, wären wir reicher als Brunei...

Über drei Zeitzonen erstreckt sich das Inselreich, dessen regionale Unterschiede zu erfassen die Wirtschaftsstatistik nicht weiter interessiert. Und so badeten sich unter internationalem Applaus besonders Präsident Suharto, Architekt der „Neuen Ordnung“, und sein Finanzminister Sumarlin Ende letzten Jahres im Triumph traumhafter Zahlen: eine Wachstumsrate von knapp sieben Prozent und in Rekordhöhen vervielfachte in- und ausländische Investitionen. Daß Deutschland sich an den lukrativen Geschäften mit der indonesischen Regierung, die ausländischen Investoren alle nur denkbaren Freiheiten offeriert, nicht beteiligt, dürfte ein Grund für Suhartos Besuch hierzulande sein. So ist es sehr lobenswert, aber aus Erfahrung kaum verständlich, daß sich kein deutscher Konzern um den Bau eines der zwölf geplanten Atomkraftwerke bewarb.

Suhartos enger Berater, der in Deutschland ausgebildete Technologieminister Habibie, forderte angesichts dieser zögerlichen Haltung die deutschen Investoren vor gut einer Woche im 'Handelsblatt‘ zu einer klaren Position auf: „Die deutsche Wirtschaft“, so Minister Habibie, „müsse grundsätzlich prüfen, ob sie an Aufbau und Zukunft der indonesischen Wirtschaft teilhaben will. Falls ja, sollte sie entsprechend handeln und Partnerschaften sowie Projekte, die geeignet für den Technologietransfer sind, eingehen. In der indonesischen Wirtschaft besteht der Eindruck, als habe man in Deutschland noch nicht erkannt, in welchen Größenordnungen dort gedacht wird.“

Indonesien hat sich als einziger asiatischer OPEC-Staat und als Billiglohnland in rasantem Tempo zu einem neuen „kleinen Tiger“ in Südostasien gemausert. Für dieses Ziel hat Suharto die meiste Energie seiner 26jährigen Präsidialzeit geopfert. Seinem eigenen Wunsch entsprechend möchte er, der einstmals arme Bauernsohn, als „Vater der Entwicklung Indonesiens“ in die Geschichte eingehen. Derjenige, der die Reisschüsseln auch der Ärmsten zu füllen verstand, das bislang erfolgreichste Familienplanungsprogramm der Welt durchführte, auch das abgelegenste Dorf ans Stromnetz anschloß und kindliche Hungerbäuche zu einem seltenen Anblick machte.

Nach dem Putsch in die Präsidentschaft gedrängt

Ohne Raubbau an Indonesiens Naturressourcen kein „Tigersprung“. Rund drei Milliarden Dollar fließen jährlich als Exporterlöse durch den Verkauf von Tropenholz ins Land; neben Japan und den USA gehört die EG zu den Hauptabnehmern. Was viele nicht wissen: 143 Millionen Hektar Dschungel bedecken Indonesien — weltweit die zweitgrößte Regenwaldfläche. Doch wie lange noch, wenn man bedenkt, daß dem Einschlag dort pro Jahr die dreifache Fläche des Saarlandes zum Opfer fällt.

Suhartos vielgepriesenes Wirtschaftswunderwerk baute auf die „innere Stabilität“ und auf das investitionsfreundliche Klima des Inselreichs. Wie das erzeugt wurde und zu welchem Preis, danach werden ein Jahr vor der nächsten Parlamentswahl und zwei Jahre vor der nächsten Präsidentschaftswahl immer drängendere Fragen gestellt. Die ungeklärte Nachfolge Suhartos gilt ausländischen Investoren als größte Bedrohung der Stabilität im Land. Suharto ist seit der Unabhängigkeit der zweite Präsident der Republik, und an den ersten Machtwechsel erinnert man sich in Indonesien mit Grauen.

Dem angeblich ungeklärten kommunistischen Putschversuch, der zur Entmachtung Präsident Sukarnos führte, folgte ein kollektiver Amoklauf. Zwischen 500.000 und einer Million Kommunisten oder Menschen, die für solche gehalten wurden, sind damals niedergemetzelt worden. Noch im Februar 1990 wurden vier Männer exekutiert, die an dem Putschversuch beteiligt gewesen sein sollen. Suharto selbst strickte die Legende, er sei nur durch einen Zufall nicht beim Putschversuch erschossen worden wie die anderen sechs Generäle; eher widerwillig habe er auf Drängen die Präsidentschaft angenommen.

Erst vergangenes Jahr gelang es der Journalistin Kathy Kadane nachzuweisen, daß die amerikanische Botschaft in Jakarta 1965, möglicherweise im Auftrag Washingtons, mehrere tausend Namen von Kommunisten an die indonesische Armee weitergegeben hat und dadurch für den Tod von schätzungsweise 250.000 Menschen indirekt mitverantwortlich ist. Nachforschungen wie diese machen die Glaubwürdigkeit von Suhartos offizieller Geschichtsschreibung immer zweifelhafter, aber darüber darf in Indonesien ebensowenig geredet werden wie über das ungelöste Problem der „Nachfolge“. Zwar hatte Suharto 1989 noch Andeutungen gemacht, seine fünfte Amtsperiode sei die letzte, aber er baut weder einen Nachfolger auf, noch macht er irgendwelche Anstalten zu gehen.

Suharto herrscht mit der Attitüde des Vaters, der sich für unersetzbar hält. Von Monat zu Monat wandelt er sich, unterstützt von vielen Günstlingen, immer mehr in ein anachronistisches Monstrum, das seine eigene Fortschrittsgläubigkeit aufzufressen droht. Die wachsende Kluft zwischen der ökonomischen Entwicklung und der innenpolitischen Stagnation veranlaßte 45 indonesische Intellektuelle im April zur Gründung eines „Demokratischen Forums“. Die Anspielung auf gleichnamige Organisationen in Osteuropa ist alles andere als zufällig, und so wurde die Gruppe auch als erstes aufgefordert, ihren Namen zu wechseln. Das Forum darf vielleicht, vorsichtig formuliert, als kleine, taktisch klug operierende Oppositionsgruppe bezeichnet werden. Ihr Vorsitzender, der muslimische Liberale Abdurrahman Wahid, antwortete in einem taz- Interview Ende letzten Jahres auf die Frage nach den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen javanisch-indirekt, aber bedeutungsvoll: „Wenn Suharto noch lange an den ,undemokratischen Methoden‘ festhält, wird er von der Geschichte und seinem Volk alleingelassen werden.“