„Ist die Demokratie für uns bereit?“

Das Parlament von Bangladesch debattiert Verfassungsänderung, mit der das Präsidialsystem abgeschafft werden soll  ■ M.Ahmed und D.Reinhardt

Dhaka (taz) — Mit einer Verfassungsänderung will die Regierung von Bangladesch die Abschaffung des seit 1975 gültigen Präsidialsystems und die Einführung einer parlamentarischen Demokratie erreichen. Wie Ministerpräsidentin Khaleda Zia Anfang der Woche in einer Fernsehansprache ankündigte, soll der neue Verfassungsentwurf der Regierungspartei Bangladesh Nationalist Party (BNP) in dieser Woche im Parlament debattiert werden. Die größte Oppositionspartei, die Awami Liga, hatte bereits im April einen eigenen Entwurf veröffentlicht.

Damit wird die für den Sturz des Ex-Präsidenten Ershad entscheidende Erklärung der Oppositionsbewegung vom 18.11.90 umgesetzt, in der sich die Parteibündnisse unter Führung der BNP und der Awami Liga ebenso wie die 5-Parteien-Allianz der Linken auf die Bildung eines „souveränen Parlaments“ einigten. Die BNP, die 1978 vom früheren Präsidenten Ziaur Rahman gegründet worden war und nach seiner Ermordung von seiner Ehefrau und jetzigen Parteivorsitzenden Khaleda Zia weitergeführt wird, hatte bei den Wahlen im Februar dieses Jahres die Mehrheit errungen.

Mit ihrem Konzept eines islamischen, bangladeschischen Nationalismus hält sie auch im neuen Verfassungsentwurf an der Verankerung des Islam als Staatsreligion fest. Ihre wichtigste Gegnerin, die von Sheik Hasina, der Tochter des Staatsgründers Sheik Mujibur Rahman nach dessen Ermordung geführte Awami Liga, vertritt dagegen einen säkularen, bengalischen Nationalismus, der auch der Hindu-Minderheit Bangladeschs einen entsprechenden Platz einräumt.

In Bangladesch entfaltet sich nun die öffentliche Debatte über die „Demokratiefähigkeit“ der bangladeschischen Gesellschaft. So fragt der bengalische Journalist Shabidul Islam: „Is democracy ready for us?“ Kann sie funktionieren in einem Land, in dem über 80 Prozent der Bevölkerung Analphabeten sind; in dem zwei Drittel der Bevölkerung, über 80 Millionen Menschen, zum bäuerlichen landlosen Proletariat zählt; und in dem regelmäßig Wirbelstürme und Überflutungen Tod und Zerstörung verursachen — und wo erst vor zwei Monaten bei einem Wirbelsturm über 150.000 Menschen starben?

Wenn unter Demokratie Abwesenheit von staatlichem Terror, manipulierten Wahlen, Zensur und diktatorischer Alleinherrschaft verstanden würde, müsse die Frage bejaht werden, meint Shahidul Islam zuversichtlich und warnt zugleich vor zu großen Hoffnungen. „Großbritanien ist über 700 Jahre alt, die USA über 200, Kanada über 100 Jahre... Mit weniger als 20 Jahren ist Bangladesch im Vergleich dazu gerade erst geboren.“

Für den Politikwissenschaftler der Universität Dhaka, Dr.Harun-or-Rashid, ist die Änderung der Verfassung das Ergebnis eines „neunjährigen Kampfes gegen das Regime der militärischen-bürokratischen Elite unter der Führung General Ershads. „Diesmal besteht die Möglichkeit, ein ziviles System einzuführen, das eine Entwicklung einer demokratischen Kultur einleiten kann.“ Allerdings gehe es im Moment um die Einführung der politischen Demokratie. „Es kann keine Zweifel geben, daß die ökonomische Demokratie noch in ferner Zukunft liegt.“

Der Bengale Philip Gain, Mitarbeiter der größten und einflußreichsten Menschenrechtsorganisation Bangladeschs, des „Coordinating Council for Human Rights“ in Bangladesch, glaubt, daß „es in der Armee Leute gibt, die gesehen haben, daß die Armeeherrschaft das Land ruiniert hat. Falls die großen Parteien aber erneut nur reine Machtpolitik betreiben und sich gegenseitig bekämpfen, könnte die Armee erneut die Herrschaft an sich reißen.“

Dezentralisierung der Korruption?

In den letzten Jahren war es ein offenes Geheimnis, daß die Regierung die offiziellen Erntestatistiken fälschte, um mit dem Verweis auf niedrige Ernteerträge die hohe Nahrungsmittelhilfe, mit der überwiegend die einflußreichen Bevölkerungsgruppen zufrieden gestellt wurden, zu rechtfertigen. „Parteipolitik“ und die Ablösung von Regierungen wird von Sozialwissenschaftlern der Universität Dhaka durch die „Rotation der Elite um die Geldtöpfe der Entwicklungshilfe“ erklärt und beschrieben. Der Demokratisierungsprozeß der letzten Monate könnte jedoch Bevölkerungskreise, Industriearbeiter, arme und landlose Bauern, die sich bis jetzt nicht in die „nationale Politik“ eingemischt haben, ermuntern, dies zu tun.