Wild-'WAZ‘ im Osten

Essen (taz) — Der Kampf zwischen der Berliner Treuhandanstalt und dem Essener 'WAZ‘-Konzern ('Westdeutsche Allgemeine Zeitung‘) um die in Gera erscheinenden früheren SED-Bezirkszeitung 'Ostthüringer Nachrichten‘ ('OTN‘) hat sich verschärft. Die Treuhand und das Bundeskartellamt hatten dem Essener Medienriesen die gewünschte, 51prozentige Teilhabe an dem Ostthüringischen Verlag verweigert, um ein 'WAZ‘-Zeitungsmonopol in Thüringen — wie der Konzern es bereits im Ruhrgebiet besitzt — zu verhindern. Seitdem versuchen die 'WAZ‘-Macher mit fragwürdigen Methoden, die 'OTN‘ zu zerschlagen, um die Geraer Zeitung übernehmen zu können. Seit Montag bringt der 'WAZ‘-Konzern die 'Ostthüringer Zeitung‘ ('OTZ‘) heraus. Möglich wurde dieser Schritt vor allem durch die Kündigung der Mehrheit der 'OTN‘-Mitarbeiter, die — kaum überraschend — allesamt von den Essenern übernommen wurden. Die 'Ostthüringer Nachrichten‘ mußten — mangels Mitarbeiter — ihr Erscheinen einstellen.

Die Treuhand, derzeitige Eigentümerin der 'OTN‘, will in Kürze eine einstweilige Verfügung beim Kreisgericht Gera einreichen, um zu verhindern, daß die 'Ostthüringer Zeitung‘ weiter erscheinen kann. Außerdem kündigte Treuhand-Sprecher Wauschkuhn an, die Berliner Anstalt werde gegen die Geschäftsführung und den ehemaligen Chefredakteur der 'OTN‘ nach dem Wettbewerbsgesetz Strafanzeige wegen „Geheimnisverrats“ und „Bestechlichkeit“ erstatten. Die Berliner wollen vor Gericht die „trickreiche Inbesitznahme des Abonnentenstammes und des Titels der 'Ostthüringer Nachrichten‘ seitens der 'WAZ‘-Investitionsgesellschaft GmbH und Co KG, Gera“ klären lassen. Die 'WAZ‘-Macher hätten, so Wauschkuhn, die 'OTN‘ „frecherweise nur umbenannt. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß das weiterhin unsere Zeitung ist.“ Der Essener Medienriese wiederum bezichtigt die Treuhand der „Verleumdung“ und behält sich ebenfalls „rechtliche Schritte“ vor.

Die 'OTZ‘ wird nach Auskunft einer 'WAZ‘-Sprecherin in Essen an 207.000 AbonnentInnen ausgeliefert, die tatsächlich bis vergangene Woche die 'OTN‘ bezogen. Sofern die bisherigen 'OTN‘-LeserInnen nicht binnen zwei Wochen die neue 'WAZ‘-Zeitung abbestellen, beziehen sie künftig automatisch die 'OTZ‘. Die Redaktion der 'OTZ‘ arbeitet weiter im Geraer Gebäude der 'OTN‘ an ihren alten Schreibtischen. Es bestehe, so die 'WAZ', „ein gültiger Mietvertrag“.

Den müßten die 'WAZ‘-Macher widerrechtlich mit der alten 'OTN‘- Geschäftsführung ausgehandelt haben, kommentiert die Treuhand, die Eigentümerin des ehemaligen SED- Gebäudes ist. Die Übernahme komme „einer Hausbesetzung gleich“.

Gestern hat auch das Bundeskartellamt die Inbesitznahme des Abonnentenstamms und des Großteils der 'OTN‘-Redaktion durch die 'WAZ‘ mißbilligt. Das Amt äußerte Verständnis für die Haltung der Treuhandanstalt, die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen und zur Wahrung ihres Besitzstandes zivil- und strafrechtliche Schritte einzuleiten. Die Möglichkeiten des Kartellrechtes der Bundesrepublik seien aber bereits voll ausgeschöpft. Alles hänge jetzt von Entscheidungen der Gerichte ab. bm/bg