Keine Atomkraft — keine Zukunft?

Greifswalder AKW-Gegner und -befürworter redeten miteinander/ Kein Konsens in keiner Frage  ■ Von Ina Kerner

Rügen. Auf Vilm, zehn Bootsminuten vom Städtchen Lauterbach entfernt, machten Ende Juni örtliche Atomkraftgegner und -befürworter ihre Ansichten zur Atomkraftanlage Greifswald deutlich. In der Naturschutzakademie trafen Unvereinbarkeiten aufeinander. Dietmar Brauer, Pressesprecher der Greifswalder AKW-Betreibergesellschaft Energie Werke Nord (EWN), Rosmarie Poldrack, Dieter Schlott und Ulrich Bittner von der BürgerInneninitiative Kernenergie Greifswald holten aus zum gesamtpolitischen Rundumschlag. Drei Möglichkeiten sah Bittner für die Kernspaltungsanlage: Abdecken, Teilabriß oder Gesamtabriß. Die Idee von der „grünen Wiese“ gefiel auch Brauer, allerdings müsse man dann „irgendwo ein Endlager schaffen, denn ein Teil wird nicht vollständig rekontaminiert werden“. Was mit den halbfertigen Reaktorblöcken 5 bis 8 geschehen soll, auch dazu fand die Runde keine Übereinstimmung. Der AKW- Sprecher befürwortet konventionelles Nachrüsten: Die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern sollten sich ihren Strom selbst produzieren, das würde Arbeitsplätze schaffen. BI-Vertreter Poldrack forderte erst einmal eine Energiebedarfsanalyse. Im Vergleich zur Ist-Analyse zeige sich, ob der Ausbau der Blöcke notwendig sei.

Brauer konnte sich genausogut vorstellen, die Blöcke 6 bis 8 nach Bulgarien zu verkaufen. Dort würden „die Teile“ schon seit zehn Jahren laufen. Aus Greifswald würde nicht „die gleiche alte Technik verkauft, sondern die gleiche Technik um zehn Jahre verjüngt ersetzt“. Für die BI ist dies „moralisch nicht vertretbar“. Man könne nicht Reaktoren verkaufen, die den bundesrepublikanischen Anforderungen nicht entsprechen. Das reine Gewissen schien dem AKW-Mann bei der Frage der Brennstäbe nicht so wichtig: „Die Rückführung in die Sowjetunion ist moralisch zwar nicht die beste Lösung, aber für uns ist es die favorisierte.“ In Greifswald könne man die strahlenden Elemente nicht belassen, wegen der Gefahr, „daß durch Zufall Radioaktivität freigesetzt wir“d“ Seit 1985 wurden aus Greifswald alte Brennstäbe rückgeführt, „es ist anzunehmen, daß sie in eine Wiederaufbereitungsanlage gegangen sind“. Dissens gab es auch um die Kernfusions-Forschungsanlage, die sich die EWN nach Greifswald wünschen. Brauer will verhindern, daß die zur Verfügung gestellten Gelder nicht woanders hin fließen.

Fast alle der 4.200 Beschäftigten am AKW Greifswald arbeiten mittlerweile kurz. Daß die Treuhand bis Ende 1992 Kurzarbeitergeld für die Greifswald-Belegschaft zugesichert habe, bestritt der AKW-Sprecher, dafür fehle die rechtliche Grundlage. BI-Vertreter Schlott vermißte ein Konzept, „die große Zahl technisch gutausgebildeter Leute weiterzubeschäftigen“. Doch bevor das AKW ein Konzept vorlegt, will man zunächst das Stillegungsverfahren abwarten. Die Vertreter der Bürgerinitiative schlugen vor, Arbeitsplätze durch Energiesparmaßnahmen, wie Wärmeisolierungen, zu schaffen. Sie setzen langfristig auf Umschulungen und Weiterbildungen. Chancen für Greifswald seien die Universität, Tourismus, Nachrichtenelektronik, Landwirtschaft, Werften; dennoch „wird es immer auch ein armes Land sein, da sollten wir uns nichts vormachen“.