Tack tack tack pling spratz!

■ Hauen und Stechen bei der Offenen Bildhauerwerkstatt „Bildhau“ in Huchting

Spratz! Der Klumpen Sandstein fliegt mir an den Hals. Das war das Auge. Jetzt sieht mein Stein plötzlich eher wie eine Urechse aus. Mit dem kleinen Meißel arbeite ich ein schwarzes Einsprengsel aus der Oberlippe des Viehs heraus, doch, oh steinerner Eigenwille, bei der nächsten Unachtsamkeit bröselt das Stück dahin. Liebevoll und erfolglos taste ich mich an einer mineralisch verfärbten Fläche entlang. Dann wage ich mich an den dicken Meißel. Damit sind außerordentlich zerstörerische Hiebe möglich; Sand rieselt in den Nacken, der linke Daumen bekommt einige Schrammen („Ungeschickt' Fleisch muß weg“, heißt es auf dem Bau). Mit meinem Stein, der mir unter den Händen zum ernstzunehmenden Gegenüber wird, bin ich allein auf der Welt.

Tock-tock-tock, ping-ping, tack-tack: Ich bin überhaupt nicht allein. Um mich herum emsiges Hauen und Stechen in Holz, Stein, Ton, Gips. Huchting, holländisches Viertel, das Bürger-und Sozialzentrum (BuS) in der Amersfoorter Straße. Hier ballen sich jede Menge sozialer Dienstleistungsinstitute und Vereine, Ökologen, Arbeitslose, Mütter, Pfadfinder, ein Skin-Projekt, Martinshof, der Kulturladen. Hier fand eine Woche lang die erste Offene Sommerwerkstatt Bildhau statt, oraganisiert vom ansässigen „Kulturpädagogischen Dienst“.

Sechs KünstlerInnen arbeiteten für tausend Mark die Woche auf dem Platz vor der Behinderten-Tagesstätte der AWO an eigenen Skulpturen, interessierte Laien durften mitmachen. Zwei LKW voll Sandstein hatte man aus Ibbenbührener Steinbrüchen geordert, teilweise übermannshohe Steine.

Rotraud Schmitter ist Bildhauerin und Lehrerin an der Fachoberschule (Gestaltung). Sie arbeitet an einem der Hinkelsteine und hat sich ein Tuch um die Hand gebunden: gegen Blasen. Sie formt ein riesiges, ein „Offenes Ohr“, der Gehörgang geht durch den ganzen Stein. Ihr gefällt, daß dies „ein Handwerk ist, das jeder fast von allein kann“. Manche der nicht zahlreich, aber regelmäßig erscheinenden Besucher, Kinder zumeist, Behinderte und einschlägig „vorbelastete“ Erwachsene, gehen brachial zur Sache,

Grobes Werkzeug für schweißtreibende KunstFoto: Jörg Oberheide

andere sind sanft zu Flächen, eine „malt“ mit dem Meißel. Gunnar Zropf, Ottersberger Kunsttherapeut in der BuS-Tagesstätte, hat in der Woche einen „Summstein“ (frei nach dem Schweizer Sinnenspezi Kückelhaus) gehauen: Kopf reinlegen und Klänge hören. Wie die meisten anderen Skulpturen kommt der Summstein der BuS- Anlage zugute und wird zur allgemeinen Benutzung aufgestellt.

Yaeko Osono aus Tokyo (und Ottersberg) , eine überaus zarte Bildhauerin, beschäftigt sich mit der Wechselwirkung von konvexen und konkaven Oberflächen und baut Kletter- und Schaukel

hier bitte das

Bildhau-Ensemble

steine, durch die Kinder hindurchkriechen können. Sie gibt an ihre „SchülerInnen“ den Rat eines japanischen Granitbildhauers weiter, mit den eigenen Herzschlag zu hämmern: „In der eigenen Zeit sein“; das mache auch weniger müde.

Mit dem eigenen Herzschlag hämmern

Während man bei Rotraud Schmitter acht Kerben an der linken Hand (das ist die, die den Meißel hält) zählt, ist Frau Osono unversehrt. Ihr Tip: den Meißel in der Mitte treffen!

Willi bearbeitet mit kraftvollen

Schlägen einen Sandstein. Willi ist ein „Ehemaliger“ aus der Psychiatrie Blankenburg und kann von seinen Gliedmaßen nur noch den linken Arm nutzen: Jahrelang ans Bett gefesselt, hatte er das Laufen verlernt und ist heute Rollstuhlfahrer. Er ist der zuverlässigste Mitmacher am Platz. Daneben Luella Strauss, der allgemein unterstellt wird, daß ihre Leidenschaft für Holz mit ihrer Kanadischen Abstammung zu tun hat. Sie hatte sich einen „Totem- Pfahl“ vorgenommen. Darein hat die Bremer Bildhauerin eine Sonne (“Kinderthema“) gehauen (Kraft, Härte, Destruktion). Bei Außentemperaturen von 30 Grad scheint ihre Beschwörung geglückt. Ursala Homfeld mit Gipsreliefs; Michael Lundt mit Tonplastik: die vielen Angebote eine Woche lang ermöglichten einen unmittelbaren und recht einzigartigen Zugang zur Bildhauerei. Für die gewöhnlichen BewohnerInnen der GEWOBA-Türme ringsum blieb die Hemmschwelle zur Kunst allerdings noch zu hoch. Auch nach dem Ende von Bildhau ist das BuS immer noch eine Reise wert: Neben den ausgestellten Arbeiten ist zumindest Yaeko Osono noch eine Weile zuzusehen: Für ihr kindgerechtes Steinspielzeug kalkuliert sie noch „einige Wochen“. Bus