Das Geschäft mit den Töchtern

■ Gespräch mit Tracy Austin, dem ehemaligen US-Shootingstar im Tenniszirkus, über alte und neue Verfehlungen und Entwicklungen beim Damentennis, über Jennifer Capriati und Monica Seles

Wimbledon (taz) — Mit 15 gewann sie ihren ersten Titel in Rom, ein Jahr später, 1980, schlug sie Chris Evert und wurde mit 16 Jahren die jüngste US-Open-Siegerin aller Zeiten. Wenige Wochen später feierten die USA die neue Nummer eins: Shooting- Star Tracy Austin. Als jüngste Spielerin durchbrach sie mit 17 die 1-Millionen-Dollar-Preisgeldschwelle. Doch kurz darauf begannen Probleme mit Rücken und Hals. 1983 schließlich mußte sie wegen dieser Verletzungen endgültig kürzer treten und fand nie wieder so recht Tritt. Ihr Stern verlosch gänzlich, als sie sich 1989 bei einem Autounfall das Bein brach, das nicht richtig verheilen wollte. Heute arbeitet die 28jährige zusammen mit Jimmy Connors als Fernsehkommentatorin für den US- Sender NBC.

taz: Wie beurteilen Sie das Frauentennis heute?

Tracy Austin: Die neuen Oversized- Schläger haben dem Frauentennis gut getan: Sie haben es erheblich schneller gemacht. Dadurch hat sich auch die Art des Spiels verändert: härter, aggressiver, schneller. Doch eine andere Veränderung ist viel wesentlicher: Tennis ist zum reinen Business geworden, in das sich vor allem die Eltern reinhängen. Die machen ein Geschäft aus ihren Töchtern. Die Väter gehen nicht mehr arbeiten und leben von der Tochter. Ich denke, das ist wirklich zuviel Verantwortung für sie, zuviel Druck. Sie verdienen zwar genügend Geld, aber ehrlich: In dem Alter können sie doch keine Familie unterhalten.

Sie kommen selbst aus einer Tennis-Familie: ihre Schwester und zwei der drei Brüder spielen Profi- Tennis.

Aber da hat sich niemand eingemischt. Mein Vater ist Nuklear-Physiker und war nie auf meinen Verdienst angewiesen. Außerdem hat er keine Ahnung vom Tennis. Er hat seinen eigenen Job, reiste auch nie mit mir. Mein Dad war ein wirklich gutes Gleichgewicht, weil er viel Wert auf die Schule legte. Meine Geschwister haben alle ihren eigenen Job und leben ihr eigenes Leben. Wie meine Mutter auch: Sie war Reisebüro-Kauffrau und arbeitete in einem Tennisclub. Ich mußte für niemanden sorgen.

Der Tenniszirkus beginnt in derart zartem Alter, daß die meisten nicht lange zur Schule gehen können.

Doch, sie könnten, wenn sie wirklich wollten! Mary Joe Fernandez ging lange zur Schule. Sie und ich, wir sind allerdings die einzigen. Für mich war das ein wunderbarer Ausgleich: am Wochenende gegen Chris Evert oder Martina Navratilova zu spielen, und unter der Woche ganz normal zur Schule zu gehen. Etwas anderes außer Tennis lernen, Verabredungen haben und all das — das war nett. Viele Leute rieten mir damals, die Schule zu verlassen, aber ich wollte nicht. Es war mir zu wichtig. Manchmal ließ ich sogar die French Open sausen, damit ich nicht zuviel Unterricht verpasse. Das war mein Wille, meine Entscheidung.

Ihr Wille war aber auch, mehr Tennis zu spielen, als ihr Körper vertragen konnte.

Das lag daran, daß ich Verletzungen nie richtig auskuriert habe und zu früh wieder eingestiegen bin. Man fängt immer zu früh an, weil man Weltranglistenpunkte verteidigen muß.

Hinzu kam, daß die Women's Tennis Association (WTA), die Spielerinnenvereinigung, seinerzeit viel Druck auf mich ausgeübt hat — auf Chris Evert, Martina Navratilova und mich, weil wir eben die Topspielerinnen waren. Immer wollten sie eine von uns im Turnier haben. Ständig riefen sie an: „Wir brauchen dich in Kansas City. Wir brauchen deinen Namen.“ Nur um den Sponsor glücklich zu machen. Ich glaube aber, heute vertreten sie die Interessen etwas besser.

Jennifer Capriati ist, wie Sie damals, bereits in jungen Jahren sehr erfolgreich. Sehen Sie Parallelen?

Jennifer ist körperlich viel kräftiger als ich damals war. Ich war 14, schmächtig und leicht, als ich begann. Als Jennifer anfing, war sie schon größer als ich heute bin und hatte erheblich mehr Muskeln. Das macht sie weniger verletzungsanfällig.

Experten schätzen, daß die aufreibende Art, wie Monica Seles Tennis spielt, zwangsläufig zu Abnutzungserscheinungen an der Wirbelsäule führen muß.

Monica Seles spielt mit sehr starkem Körpereinsatz, weil sie alle Bälle beidhändig schlägt. Durch die starke Drehung geht das natürlich auf den Rücken. Aber ich glaube, Seles momentane Verletzung kommt eher daher, daß sie ihrem Körper keine Ruhe gönnt. Sie ist erst 17 und reist ständig durch die Welt, spielt Turniere und Schaukämpfe.

Wie beurteilen Sie die Zukunft des Frauentennis?

Frauentennis geht wieder in die richtige Richtung. Ich finde es sehr positiv, daß keiner mehr im voraus weiß, wer gewinnt. Letztes Jahr passierte es zum ersten Mal nach 1981, daß jedes Grand-Slam-Turnier von einer anderen Spielerin gewonnen wurde. Das macht es viel interessanter. Als Steffi oder zuvor Martina alles gewannen, war das nicht mehr sehr geheimnisvoll. Aber jetzt verfolgen alle mit großer Spannung, wer in die Finals kommt. Mary-Joe Fernandez steht hier im Halbfinale, Monica Seles, Steffi Graf, Martina gewinnen viele Turniere, doch Gaby Sabatini holte sich die US Open. Garrison ist immer öfter in Finals — so macht das endlich wieder Spaß. Interview: Michaela Schießl