Sechseinhalb Jahre für Henning Beer

■ Gericht wendet Jugendstrafrecht und Kronzeugenregelung an/ Vorsitzender Richter bezeichnet Urteil als „Botschaft und Signal“ an aussteigewillige RAFler/ Bundesanwaltschaft prüft Revision

Koblenz (taz) — Im dritten Kronzeugenprozeß gegen die in der Ex- DDR verhafteten RAF-Aussteiger ist Henning Beer am Mittwoch vom Staatsschutzsenat des Koblenzer Oberlandesgerichts zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Bei der Strafzumessung wandte der Senat — wie von der Verteidigung gefordert — sowohl die Kronzeugenregelung als auch das Jugendstrafrecht an. Verurteilt wurde Beer wegen gemeinschaftlich versuchten Mordes in sieben, Beihilfe zum versuchten Mord in 21 Fällen sowie wegen Raubes, Sprengstoffanschlägen und RAF-Mitgliedschaft.

Die Urteile wegen Mordversuchs beziehen sich auf Beers Beteiligung bei der Vorbereitung am Anschlag auf den damaligen Nato-Oberkommandierenden Haig 1979 in Belgien und auf seine Beteiligung an einer Schießerei mit der Polizei nach einem Banküberfall in Zürich 1979. Bei dem Schußwechsel war eine Passantin ums Leben gekommen. Dem von der Bundesanwaltschaft erhobenen Mordvorwurf im Zusammenhang mit dem Bankraub schloß sich das Gericht nicht an. Zwar sei die tödliche Kugel auf die Passantin von einem RAF-Mitglied abgegeben worden, der „Fehlschuß“ habe aber eindeutig einem Polizisten gegolten und sei als versuchter Mord gegen den Beamten zu werten. Beim Todesschuß auf die Passantin handele es sich um „fahrlässige Tötung“, die mittlerweile verjährt sei, so der Vorsitzende Richter Schuth. Wegen Beihilfe — die BAW hatte hier auf Mittäterschaft plädiert — wurde der 32jährige Beer für seine Hilfe bei den Vorbereitungen der Anschläge auf die Ramsteiner Air-Base und den US- General Kroesen in Heidelsberg 1981 verurteilt.

Beer hatte nach seiner Verhaftung umfangreiche Aussagen bei den Strafverfolgern gemacht und dabei sich sowie zahlreiche andere RAF- Mitglieder schwer belastet. Schuth übte verhaltene Kritik an den bisherigen Urteilen gegen die RAF-Kronzeugen Susanne Albrecht und Werner Lotze: Es müsse für die Öffentlichkeit „einigermaßen irritierend wirken“, wenn gegen Lotze und Albrecht „vergleichsweise hohe Strafen“ gegen Beer aber „eine vergleichsweise milde Strafe“ verhängt werden. Schuth bezeichnete das Urteil als „Botschaft und Signal“ an aussteigewillige RAFler. In der Bewertung von Beers Rolle in der RAF schloß sich der Senat dessen eigenen Angaben an. „Beer war fast noch ein Kind, als alles anfing“, begründete das Gericht die Anwendung des Jugendstrafrechts. Er habe zudem unter Einfluß seines älteren Bruders und RAF-Aktivisten Wolfgang gestanden. Beer habe nie eine führende Rolle in der RAF gespielt. Während die Verteidigung, die auf maximal fünf Jahre plädiert hatte, auf Rechtsmittel verzichtete, will die Bundesanwaltschaft, die elf Jahre Haft gefordert hatte, eine Revision prüfen.