Der Drache, der kein Feuer speit, aber Eier legt

■ Ein 2.70 Meter langer Komodowaran soll jetzt die beiden Weibchen im Berliner Aquarium mit Nachwuchs beglücken

Charlottenburg. »Ist das der Chef?« fragt ein Besucher mit Fingerzeig auf den größten der drei Komodowarane, die im Terrarium des Berliner Aquariums reglos bräsig unter der künstlichen Sonne liegen. Nur die gespaltene lange Zunge zuckt ständig vor und zurück. Der Tierpfleger, der für die Riesenechsen gerade frisches Badewasser eingelassen hat, schüttelt energisch den Kopf. »Nein. Das ist der Neue«.

Der Neue ist ein ER. Einen Namen hat er nicht, dafür aber eine Nummer. Die kleine weiße »5« wurde ihm 1983 im heimischen Indonesien aufs Schuppenkleid gemalt, nachdem er im Zoo von Surabaya auf Java aus dem Ei geschlüpft war. Er, der damals kaum größer als ein Gecko war, mißt heute von Kopf bis Schwanzspitze stattliche 2,70 Meter und bringt stolze 85 Kilo auf die Waage. Vor gut anderthalb Wochen traf er in einer stinknormalen Holzkiste auf dem Flughafen Tegel ein, um hier die beiden Komodowaranweibchen möglichst fruchtbar zu beglücken. Die beiden knapp zwei Meter langen Damen, die Bundeskanzler Kohl 1984 vom indonesischen Staatspräsidenten Suharto als Staatsgeschenk überreicht bekam, wurden lange Zeit für Männchen und Weibchen gehalten. Erst als das »Männchen« vor zwei Jahren ebenfalls Eier legte, fiel es den Zoologen wie Schuppen von den Augen, daß bei diesem Paar an Nachwuchs nicht zu denken ist. Der Rummel um die Hauptstadt Berlin und der morgige Besuch von Suharto kamen gerade recht, um den Präsidenten um ein Komodowaranmännchen zu bitten.

Von den Riesenechsen aus grauer Vorzeit leben heute auf den indonesischen Sundainseln Komodo, Flores und Rintjar nur noch rund 4.000 Exemplare. Die im Indonesischen kurz »Ora«, Drachen, genannten Warane wurden 1912 wieder entdeckt und sind vollständig unter Schutz gestellt. Die Schuppentiere, die über drei Meter lang und bis zu 50 Jahre alt werden können, schleifen sich auf ihren seitlich abgespreitzen, krallengespickten Füßen auf dem Bauch durch den Busch. Doch der träge Eindruck trügt. Die Fleischfresser können mehrere Kilometer am Tag zurücklegen, Bäume besteigen und schwimmen und geradezu Spitzengeschwindigkeiten erreichen, wenn es ein Wild- oder Haustier — wie Pferde Ziegen oder Schweine — zu packen gilt. Daß sie auch Menschen nicht verschmähen, bekam eine Schweizer Touristengruppe, die auf Flores auf Riesenechsen-Beobachtungstour war, körpernah zu spüren. Von einem Teilnehmer, der sich zu weit von der Gruppe entfernt hatte, fand man nur noch Armbanduhr und Schuhe. Kleine Anekdote am Rande: Die Verwandten des wagemutigen Mannes kämpfen bis heute vergebens um sein Erbe, weil sich der Schweizer Reiseleiter hartnäckig weigert, den vermißten Touristen für tot zu erklären.

Im Berliner Aquarium muß sich der Neue jetzt erst einmal daran gewöhnen, daß er statt Ziegen und Schafe nur noch Labor-Ratten zu fressen bekommt. Doch Nummer 5 ist ein genügsamer und, wie sich bereits am ersten Tag herausstellte, überaus friedvoller Mann. Nachdem er anfangs nur kurze Zeit mit den beiden Damen zusammengeschlossen wurde, sind die drei jetzt schon den ganzen Tag über in einem Terrarium zusammen. Nachts fällt allerdings noch die Trennscheibe. Nach anfänglicher Reserviertheit kam es unter den Tieren schon bald zu ersten Züngelkontakten. Ob Mann und Frauen sich so nahe kommen, daß daraus Nachwuchs entspringt, ist jedoch sehr fraglich. Bislang ist dies nur indonesischen Zoos gelungen. Der Neue ist schon jetzt so zahm, daß er vielleicht einmal in die Fußstapfen des Komodowarans Moritz treten könnte, der in den dreißiger Jahren mit seinem Tierpfleger nachts treppauf, treppab durchs Aquarium zog. Eine solche enge Bindung wäre dem Direktor des Aquariums, Jürgen Lange, allerdings gar nicht lieb, »weil er dann seine Mädchen vergessen könnte«. Nicht nur bei einer zahmen Landschildkröte hat es der Direktor schon erlebt, daß sich diese mit den Schuhen des geliebten Tierpflegers zu paaren versuchte. Plutonia Plarre