Billigvideo verdrängt die »Bücherwürmer«

■ Die Volkskunstkabarettgruppen gelten viel in der Fremde und (fast) nichts in der Heimat

Die Amateurkabarettisten in Brandenburg und Berlin suchen dringend UnterstützerInnen für ihre Mission. Rund dreißig Mitglieder zählt derzeit die dem Humor und der Satire verpflichtete Zweiländer-Vereinigung. Der amtierende Geschäftsführer des bereits vor einem dreiviertel Jahr gegründeten Fachverbandes, Ronald Gohr, bekennt: »Wir stecken erst in den Gründerjahren.«

Die Teilorganisation des ostdeutschen Kabarett-Verbandes steht mit 25 Gruppen in der Bundeshauptstadt und dem Nachbarland in losem Kontakt. Dazu zählen »Der Stachel« aus Strausberg, das »Collegium criticum« aus Oranienburg und »Blitzschlag« aus Frankfurt (Oder), die Ostberliner Schülertruppe »Die Spatzen« und »Lampenfieber« aus West-Berlin. Genauen Umfang und das Niveau der Szene kann jedoch selbst der Vorstand kaum einschätzen. Zahlreiche Auflösungen und Neugründungen machen einen Überblick nahezu unmöglich. Das Kabarettfestival im September in Bernau soll erstmals wieder Aufschluß über die aktiven Ensembles bringen.

»Viele Volkskunstgruppen wurden nach der Wende von Großbetrieben und Trägereinrichtungen abgestoßen«, beklagt Gohr, der in der Potsdamer Erfolgsgruppe »Die Bücherwürmer« auftritt. Der kulturelle Kahlschlag traf besonders das seinerzeit weit verbreitete Kabarett, das es »fast überall« gab. Erst jetzt würden die Gemeinden erkennen, daß Laienkünstler zur Kiezkultur gehören, sagte Gohr.

Angesichts bedrückender Alltagssorgen den Zuschauern Ausgleich und Anregung geben, ist in den Augen des hauptberuflichen Bibliothekars eine wichtige Aufgabe. Trotzdem müßten »alle Register in der Werbung« gezogen werden, um die Auftrittssäle zu füllen. Der geringe finanzielle Spielraum und Vorlieben für »billigeres« Video und Fernsehen bringen die Laienkünstler um ihr heimisches Publikum. Bei Gastspielen in Westdeutschland dagegen schlagen die bissigen Gags aus dem Osten ein. Selbst in Bayern feierte preußische Satire Erfolge.

Künftig müsse der Verband, der auch für interessierte Profis offen sein will, Sponsoren finden, um die mit viel Einsatz und Zeitaufwand betriebene Kleinkunst am Leben zu erhalten. Die Ostberliner Stiftung »Demokratische Jugend« habe Die Bücherwürmer bereits unterstützt. Denkbar seien aber auch Förderungen einzelner Programme durch das Kulturministerium, meinte Gohr. Er befürchtet, daß wie in den Altbundesländern bald mehr Duos und Solisten auf der Bühne stehen und die wirtschaftlich unrentablen Gruppen zurückgehen. Jan Meier/adn