: Dachausbau: Baustadträte rügen den Bausenator
■ Der Ausbau des Trockenbodens schafft manchmal nicht nur mehr Wohnraum, sondern auch Probleme und teure Mieten
Schöneberg. Mit dem Ausbau der Berliner Dachstühle wird Wohnraum geschaffen — doch mit diesem Wohnraum entstehen manchmal auch Probleme und nicht selten teure Mieten. In der Nollendorfstraße 24 lehnen von 24 Mietparteien bis auf drei alle den geplanten Dachausbau ab, berichtet Silvia Krieger, Mieterin im Vorderhaus. Einer der Gründe: In den Innenhof — ein Schacht von sieben mal elf Metern — soll ein Fahrstuhl gebaut werden. »Der nimmt mir ein Drittel des Lichts im Berliner Zimmer«, sagt Michael Haseney aus dem ersten Stock. Wegen des Lifts soll außerdem die Miete steigen. Vorderhauswohnungen ab dem zweiten Stockwerk sollen im Monat um 150 Mark teurer werden.
Haseney meldet aber noch andere Bedenken an. Die Nollendorfstraße sowie die angrenzenden Straßen seien derart dicht bewohnt (terminus technicus: verdichtet), daß die Infrastruktur des Viertels völlig überlastet werde. Baustadtrat Uwe Saager teilt Haseneys Argument, zumal gerade die Böden der Nachbarhäuser 25 und 26 ausgebaut worden sind. KiTa- und Schulplätze stünden nicht in genügender Zahl zur Verfügung, so SPD-Mitglied Saager. Bis vor wenigen Jahren habe man sogar erwogen, die Hinterhöfe der Nollendorfstraße zu »entkernen«, also einen Teil der Bebauung abzureißen.
Er hatte den beantragten Dachausbau abgelehnt. Sinnloserweise — denn bei Ablehnungsbescheiden der Bezirke reißt die Senatsbauverwaltung den Vorgang an sich und entspricht fast immer den Wünschen der Hausbesitzer. Saager hat deshalb den Eindruck, »daß in der Hauptverwaltung überhaupt keine Einzelfallprüfung stattfindet«.
Seit 1981 16.000 neue Dachwohnungen gebaut
Ralf Schlichting, Sprecher der Verwaltung von Senator Nagel (SPD), bestätigt die faktische Entmachtung der Bezirksstadträte. Bei den jährlich 500 Ablehnungen in den Westbezirken, die sich die Hauptverwaltung alle auf den Tisch kommen läßt, »stimmen wir der Auffassung der Bezirke in den seltensten Fällen zu«. Jeder Einzelfall werde geprüft, behauptet der Senatssprecher. Daß dennoch fast alle genehmigt werden, begründet er mit der Wohnungsnot. 90.000 Menschen seien nach seinen Angaben auf Wohnungssuche — und die Tendenz steige.
Den Ausbau von Dachböden könne man im Prinzip nur ablehnen, wenn öffentliche Belange beeinträchtigt werden. Zusätzliche Parkplätze oder Einkaufsmöglichkeiten stellten keinen Grund dar. Auf Saagers Kritik, daß KiTa- und Schulplätze nicht ausreichten, entgegnet Schlichting, daß »die Bezirke sie ja einrichten können«.
Ganz so einfach scheinen infrastrukturelle Probleme aber nicht lösbar zu sein. Seit 1981 sind unter den Dachpfannen und -pappen der Westbezirke knapp 16.000 neue Wohnungen entstanden — da leidet nicht nur Schöneberg, das mit 1.873 Ausbauten an zweiter Stelle der Bezirke liegt. Auch in Moabit und Tiergarten wird es eng. Drei Schulen müßten in dem zentralen Kiez neu gebaut werden, »doch die sind nirgends unterzubringen«, berichtet Tiergartens Baustadtrat Horst Porath. Auch der Senat helfe nicht, da die Bauverwaltung Flächen für Eisenbahnbau und Gewerbe »blocke«. Der SPD-Stadtrat findet deshalb Schlichtings Äußerung, daß die Bezirke Schulplätze einrichten können, »fast unverschämt«. Dennoch — wo es vertretbar sei — werde auch der Tiergarten trotz seiner infrastrukturellen Probleme verdichtet. Porath hat dieses Jahr von etwa 210 Anträgen 68 genehmigt.
Der Baustadtrat lehnt Bauanträge nur dann ab, wenn beispielsweise Eigentümer ihre Häuser verkommen lassen. In den meisten dieser Fälle werde der Wohnraum unter dem Dach lediglich zu Spekulationszwecken geschaffen. Gerade würden wieder zwei Häuser in einer Zeitung zum Kauf angeboten, bei denen auf das »genehmigte Dachgeschoß« hingewiesen wird. Die zu erwartende Miete unter den Velux-Fenstern beträgt pro Quadratmeter 15 bis 20 Mark.
Stadtrat fordert Steuerrechtänderung
Aufgrund der großzügigen Genehmigungspraxis der Senatsverwaltung »nimmt uns kein Investor mehr ernst«, bemängelt Uwe Szelag, Baustadtrat in Wilmersdorf. Bauherren würden bereits beim Stellen ihres Antrags um eine Ablehnung bitten, damit die Unterlagen möglichst schnell in Nagels Behörde wandern und dort der Ausbau genehmigt wird.
Bei der Beschaffung von Wohnraum müsse großzügig vorgegangen werden, »aber wir dürfen nicht jeden Scheiß mitmachen«, warnt der AL- Politiker. Wenn das komplette Dach eines Vorder- und Hinterhauses sowie des Quergebäudes ausgebaut werden soll, das in Nordlage an der Autobahn steht und sich überdies in schlechtem Zustand befindet, und wenn zu allem Überfluß auch noch der »Entwurf unter aller Sau ist«, versagt Szelag seine Zustimmung.
Die Stadträte fordern von Bausenator Nagel deshalb, daß die Einzelfallprüfung in seiner Verwaltung ernstgenommen werden müsse. Saager schlägt sogar eine Änderung des Steuerrechts vor. Nicht nur für Modernisierung, sondern auch für Instandsetzungsmaßnahmen wie Dachausbauten müsse die Möglichkeit der erhöhten steuerlichen Abschreibung gegeben werden.
Die Steuergelder sollten allerdings mit Auflagen verbunden werden, denn bisher würde der Hausbesitzer am kräftigsten belohnt, der am teuersten baut. Das führt zu teuren Mieten und damit zur Vertreibung alteingesessener Bewohner — im beispielsweise Moabiter Sanierungsgebiet Stepahnkiez wohnt nach der durchgeführten Modernisierung von zehn nur noch jeder vierte Mieter in seiner Wohnung.
Saager will, daß eine öffentliche Qualitätskontrolle »Pfusch am Bau« verhindert und Auflagen die Miete niedrig halten. Die öffentliche Hand hätte dann auch Einfluß darauf, daß Wohnungssuchende untergebracht werden. Schon Mitte Mai bat der Bizirksstadtrat Senator Nagel, sich in Bonn für die notwendige Gesetzesänderung einzusetzen — bisher hat der Bausenator nicht auf Saagers Brief reagiert. Dirk Wildt
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