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■ Wenn "Raketenpeterchen" die Lyrik packt * "Amerika '91 eine Reise in den Westen", Mi., 21.15 Uhr, ARD

Dieses Mal war der andere Verein aus der ersten Reihe dran. Nachdem schon vor drei Wochen das ZDF ausgezogen war, die Seelenlage der amerikanischen Nation nach dem Golfkrieg auszuleuchten, hatte nun die ARD fünf Späher losgeschickt. Die hatten statt 45 Minuten immerhin 75 Minuten Sendezeit — bloß wußte man am Ende mehr über die Seelenlage der Korrespondenten als über die USA. Daß Sven Kuntze zum Beispiel offensichtlich nichts mit Chicago am Hut hat. Entsprechend lustlos hakte er ein paar Adressen wie eine Einkaufsliste ab, die ihm irgendjemand zugesteckt haben muß: ein bißchen Börsenmakler, ein bißchen japanische Autofirma und ein bißchen Studs Terkel, der auch bloß das sagen darf, was Kuntze sowieso schon wußte: O.K., das Land ist in Schwierigkeiten von wegen Armut, Verschwendungssucht und Werteverfall — aber wir sind optimistisch.

Und daß Peter Staisch sich auch ohne Schal vor die Kamera setzt — wenn's heiß ist und er nicht über Abschußrampen und Wüstenkriege fabulieren darf, sondern die Südstaaten vorstellen soll. Dann entwickelt „Raketen-Peterchen“ durchaus lyrisches Talent. „200 Jahre Erlebnisse rauschen in den Kronen der Bäume“, sagt er und meint die von Charleston in South Carolina, findet dann aber Gott sei Dank ein paar Kanonen aus dem Bürgerkrieg, die von oben, unten, hinten und vorne abgefilmt werden. Im übrigen recherchierte Staisch, daß die Südstaatler Charme haben und auch ohne die Sklaverei wirtschaftlich ganz gut klar kommen.

Löbliche Ausnahmen im Fünfer- Pack: Luc Jochimsen in Cedar Rapids, Iowa, und Christian Herrendörfer in Miami. Erstere, weil sie die Menschen wirklich reden und erzählen ließ. Außerdem war es der einzige Beitrag, der dem unvoreingenommenen Zuschauer erschloß, daß in den USA auch Frauen leben. Die existierten bei den vier männlichen Kollegen überhaupt nicht — leider auch nicht bei Christian Herrendörfer, der ansonsten sehr eindrucksvoll am Beispiel Miami den Mythos vom Schmelztiegel Amerika zerlegte. Miami, das ist die Stadt, in der Don Johnson demnächst zu einer rassischen Minderheit gehört, weil Haitianer und Kubaner die Regierung übernehmen — und die halten vom „melting pot“ soviel, wie George Bush von Fidel Castro. Nicht der Traum von der Amerikanisierung läßt diese Einwanderer überleben, sondern die deutlich Abgrenzung davon.

Der Rest, inclusive Wolf von Lojewskis Kalifornien-Ausflug blieb Klischee und hatte mit Reportage nichts zu tun. Dazu fehlt den „Reportern“ ganz offensichtlich die Courage, sich dem Vorwurf der Subjektivität auszusetzen, und sich anstelle des großen, immer oberflächlichen Rundumschlags in die kleinen Geschichten hineinzuknien. Dabei hatte Lojewski die große Chance. Ganz kurz schwenkte die Kamera in einen Waschsalon am Sunset Boulevard in Los Angeles, in dem zwischen Schleudern, Trocknern und Bügeleisen abgewrackte und aufsteigende Straßenliteraten die multiethnische Kundschaft unterhalten, während die ihre T-Shirts faltet. Mikro reinhalten und einen Tag lang die Leute reden lassen. Dann weiß man etwas über die Seelenlage der Nation. Andrea Böhm