CROSS-SCHLAG
: Nicht ohne meinen Doktor

■ Im Turnier der Über-35-jährigen bekommen verdiente Ex-Tennisstars in Wimbledon ihr Gnadenbrot

Was um Himmels willen ist das? Der Tennisfan rieb sich die Augen. Gerade noch hatte Boris auf dem Court Number One Christian Bergström die Asse um die Ohren gehauen, doch jetzt war der Platz plötzlich von Silbersträhnen heimgesucht. Hatten die Grauen Panther aus Protest gegen das Ausscheiden von Jimmy Connors den Platz besetzt? Probten die Clubmitglieder des „All England Lawn Tennis Club“ für ihre Vereinsmeisterschaft?

Alles falsch. Das fußlahme Viererteam, das sich gemächlich auf den Platz schleppte, waren die „AA“, die alternden All Stars. Denn was machen Tennis-Champions, wenn sie nicht mehr Tennis spielen können? Sie spielen Tennis. Extra dafür wurde auf allen großen Turnieren eine Art Altersversorgung eingerichtet: Seniorenwettstreit für Siegertypen über 35. Mit Preisgeld, versteht sich. Und Wimbledon hatte selbstlos keinen Geringeren geladen als den Mann, der sich einst benahm, wie kein Tennispieler sich benehmen soll. Er fluchte in übelriechendster Fäkaliensprache, bedrohte Schiedsrichter, tobte, schrie und zog bis nachts um die verruchtesten Häuser. Kurz — er war der Schrecken der Veranstalter und der Liebling des Publikums: Ilie Nastase.

Da stand er nun, der Wimbledonfinalist von 1972 und 76, wie wir ihn kennen: mit langen zottigen Haaren, temperamentvoll, streitbar, witzig. Zwei Romane hat er inzwischen geschrieben und acht Sprachen gelernt. Doch vom Racket kann er immer noch nicht lassen. Nur der Bierbauch behindert seine geschmeidig tigerhaften Bewegungen. Neben ihm spielt kein Geringerer als der unvergessene Welsh-Open-Gewinner 1973, Roger Taylor. Mit grauumzirkelter Glatze, Wampe, einem angeschnittenen Aufschlag und Anfang fünfzig bar jeglicher Beweglichkeit. Die furchterregenden Gegner: Frew McMillan, der unvergessene Finalist von Nürnberg 1973 und stolzer Schirmkäppibesitzer, an der Seite vom Dublin-Sieger von 1969 Bob Hewitt. Schmerzlich vermißt wurde nur der Held der Bogotá Open.

Das Spiel versprach also spannend zu werden. Motto der Übung: erstens, laufen macht müde und ist deshalb abzulehen; zweitens, es muß aussehen wie Federball; drittens, Ehrgeiz muß sein, und viertens, Applaus muß über die begnadeten Körper fluten.

Und die Panther gaben alles. Los ging die wilde Jagd. Mit Tippelschritten näherte man sich dem Filzball und drosch, falls erreicht, einen Lob. Dann nichts wie ans Netz zum Doppel-Whopper. Sieger im packenden Netzduell ist, wer den Schläger am schnellsten über die Matchkante hebt. In diesem Fall McMillan: Auf gemeinste Weise passiert er Nastase, der sofort beginnt, mit dem Linienrichter zu hadern. Der will nicht, Nastase rennt zum Oberschiri. Ob er einen Augenschaden habe? Nein? Nastase lacht, freut sich über diese gelungene Einlage.

Sicherlich, das Bücken nach dem Ball fällt schwer, also lobbt man lieber, bevor die Bandscheibe zwickt. Und sollte wirklich einmal ein Passierball unter all den Eiern sein, gibt es statt dem Hecht nur sehnsüchtige Blicke. Ja, damals. Verträumt streichelt sich Nastase die Wampe. Der nächste Return wird ein Luftloch. Doch er sieht es nicht mehr so eng. Von seinen Saiten lächelt ein Smiley statt eines Sponsoren-Emblems. Auch die Sache mit dem Service war schon einmal feuriger. Doch zumindest brachte er als einziger seine Masse unter den Filz, was Taylor derart ärgerte, daß er sein Racket wegwarf und es aufs Übelste trat. Auf solche Art aufgeladen, vollbrachte er anschließend einen eingesprungenen Schmetterball, bei dem er garantiert zwei Zentimeter vom heiligen Grund abhob.

Doch die Fans applaudierten jeder noch so kleinen Aktion. Sicher, ein bisserl peinlich wars schon, etwa so, als wenn Mutti mit in die Disco ginge; aber irgendwie auch rührend. Zudem gab es keine Möglichkeit zur Flucht. Die Altherrenriege verkürzte ihre Einminutenpause derart, daß unmöglich einer den Ausgang erreichen konnte. „Hol Luft, immer schön atmen“, riet Nastase Taylor zur gemeinsamen Hyperventilation. So standen sie auf dem Court wie zahnlose Panther und machten Atemübungen, und der Doktor draußen in der Kammer legte schon mal die Vitaminspritzen bereit. miß