piwik no script img

New Kids on the Court

Die Demontage der Legenden: Nach Jimmy Connors, Ivan Lendl und John McEnroe scheiterte auch Martina Navratilova in Wimbledon/ Sie verlor im Viertelfinale gegen die 15jährige Capriati  ■ Aus Wimbledon Michaela Schießl

„Ich hatte einfach Angst vor ihrem Return, so viel Angst, daß ich sogar Doppelfehler machte.“ Worte, nicht etwa von einer Qualifikantin, die aus Versehen gegen ein Topspielerin antreten mußte, sondern das Geständnis einer Tennislegende: Martina Navratilova wurde von einem Teenager aus dem eigenen Wohnzimmer geschossen. Keine Chance hatte die neunmalige Wimbledon-Gewinnerin auf „ihrem“ Centre Court gegen die gerade der Zahnspange entwachsene Viertelfinalgegnerin Jennifer Capriati. „Ich konnte einfach keinen Druck aufbauen. Sie schlug zu gut auf und returnierte erstklassig.“ Kein Stich mehr für die Königin. Zwischen Micky Maus und Plumpudding wurde sie abserviert.

Für Martina Navratilova ist diese 4:6, 5:7-Niederlage wohl die bitterste ihrer Karriere, weil sie verdächtig nach Abschied riecht. Zum erstenmal seit 1977 hat sie das Wimbledon-Halbfinale verpaßt, sie, die bereits im Semifinale stand, als Jennifer Capriati 1976 geboren wurde. Heute ist die kräftige 15jährige mit dem Kaugummimund und dem Hosenrock die jüngste Halbfinalistin in der Geschichte des Turniers.

Auch Erfahrung ist kein Trumpf für Navratilova: „Das ist wie bei einem Entertainer. Man wird immer nervöser, weil man ahnt, daß man nicht mehr viel Zeit hat.“ Tapfer präsentiert sich die nun hinter Arantxa Sanchez-Vicario auf Weltranglistenplatz fünf abgerutschte Tennisdiva nach dem Desaster. Doch die Angst vor der Zukunft kann sie nicht gänzlich überspielen. „Ich stecke nicht auf, ich fühle, daß ich noch gutes Tennis in mir habe.“ Dann bricht die Fassade zusammen. „Aber ich weiß nicht, wieviel Herz noch übrig ist. Es war hart.“ Fluchtartig verläßt sie den Konferenzraum und begibt sich zur Tränenschale.

Martina Navratilova war die letzte Institution, die noch im Turnier war. Vor ihr ist bereits Oldie Jimmy Connors (39) und Evergreen Ivan Lendl (31) rausgeflogen, im Achtelfinale schließlich mußte „Bad Boy“ John McEnroe einem fehlerfrei spielenden Stefan Edberg den Weg freimachen. Da half weder der Applaus noch ein Tobsuchtsanfall. Die Genialität der Alt-Stars weicht der Power der Jugend — mit dreißig gehört man heute ins Tennis-Altersheim.

Doch keiner von ihnen hat bislang einen Platz beantragt. Alle wollen sie weitermachen, bis sie Pflegefälle werden. Connors, weils ihm Spaß macht, die anderen, weil sie nicht glauben, am Ende zu sein; alle, weil sie süchtig sind nach Tennis, nach Ruhm, nach standing ovations. Zweimal ließ sich Connors in Wimbledon feiern, dreimal McEnroe. Der Centre Court ist eine Droge, für die es keinen rechten Ersatzstoff gibt. Doch haben sich die Prioritäten verändert. Die Welt ist zwar bunt, aber nicht mehr gelb und aus Filz. „Man hat mehr Interessen“, sagt McEnroe, der wie Connors unentwegt von der Gesundheit seiner Familie schwärmt. „Für die Jugend ist Tennis das Leben, die denken an nichts anderes.“ Und ernst spricht das geniale Großmaul philosophisch: „Das Leben ist eine lebenslange Erfahrung.“ Hätte ihm jemand vor Jahren einen ähnlich schwülstigen Satz an den Kopf gesabbelt, er hätte geantwortet: „Come on, fuckin' guy, stop tellin' me that fuckin ol' shit.“

Zugegeben, einen liebenswerten Flegel wie ihn wird man in Zukunft missen, doch das Jammern über den schweren Verlust von Persönlichkeiten ist viel Nostalgie. Mit Becker, Agassi, Stich, Sabatini, Sanchez-Vicario und Seles etwa nehmen andere interessante Typen das Heft in die Hand. Zu Persönlichkeiten müssen sie meist noch heranwachsen, aber mit 19 war Connors auch noch nicht das, was man heute gern behauptet.

Zudem wird die Spitze breiter. Michael Stich, David Wheaton, Jim Courier, Thierry Champion und Guy Forget standen zum erstenmal im Viertelfinale von Wimbledon (Durchschnittsalter: 23). Mary-Joe Fernandez und Capriati stießen erstmals zu Graf und Sabatini ins Halbfinale vor (Durchschnittsalter: 19). Und die Unbekümmertheit, mit der die Jugend spielt, ist zeitweilig erfrischender als die Verbissenheit eines Ivan Lendl. Champion zum Beispiel reiste erst samstags nach London und übte nur eine Stunde auf Rasen: „Ich mache ganz einfach mein Spiel“, entschied er. Und Jennifer Capriati beschloß zwischen Freizeitrevue und Hitparade: „einfach rausgehen und losspielen. Ich habe nichts zu verlieren, Martina alles.“ Boris Becker kreierte bereits den Beckerhecht, die Faust und erfreute Stimmennachahmer, Goran Ivanisevic zertrümmerte Schläger, Stefan Edberg hat sich als der am besten tennisspielende Kühlschrank der Welt einen Namen gemacht, Arantxa Sanchez-Vicario als Energiebällchen. Sabatini macht den Flunsch gesellschaftsfähig, Steffi Graf Tennis und Zina Garrison wedelt. Also, keine Panik: „There are new kids on the court.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen