QUERSPALTEN
: Brüder zur Sonne, zum Plan

■ Vom Vorteil der gußeisernen Badewanne zur Arbeitsbeschaffung im „Aufschwung Ost“

Beschäftigungsgesellschaft heißt das Zauberwort zur Lösung der sozial- und strukturpolitischen Probleme in der ehemaligen DDR, das inzwischen allüberall ertönt. Um den freien Fall der musealen DDR-Betriebe und ihrer Beschäftigten in die Marktwirtschaft zu verhindern, soll die drohende Arbeitslosigkeit in staatlich getragenen Gesellschaften, eben zur Beschäftigung, aufgefangen werden. Außerhalb der Erwerbsarbeit treffend als Beschäftigungstherapie klassifiziert. Und die Treuhand, die größte Industrieholding der Welt — uns, den Steuerzahlern, ein teurer Schatz — soll sich daran beteiligen.

Ungeahnte Perspektiven des Neuanfangs im Osten tun sich auf. Man stelle sich vor. Das Stahlwerk in Brandenburg wird in eine Beschäftigungsgesellschaft umgewandelt. Damit das Ganze nicht von vornherein zur halboffenen arbeitstherapeutischen Anstalt verkommt, muß selbstverständlich ernsthaft produziert werden — nicht nur irgendwelches Hochofen-Hochfahren, Hochofen-Runterfahren. Logische Konsequenz: ein Absatzmarkt für eben diesen Stahl und dieses Eisen muß her. Aber wo? Der Weltmarkt ist voll. Mit subventioniertem Stahl wird man kaum mehr landen, zumindest aber sich viel Ärger einhandeln. Italia docet. Eine Lösung bietet sich an und wird von weiterdenkenden Strategen bereits gefordert: Der Staat sollte die Beschäftigungsgesellschaften bevorzugt mit Aufträgen bedenken, schließlich gehören die ja uns allen, Volkseigentum gewissermaßen.

Bleiben wir bei der Stahlproduktion: Die DIN- Normen für Neubauten werden geändert, gußeiserne Badewannen mit möglichst hohem Mindestgewicht zur Pflicht. Das produziert auch sonst günstige Nebeneffekte, Deckenverstärkungen (Stahlträger!) werden nötig und folglich mehr Arbeitszeit und mehr Material.

Doch die Struktureffekte enden nicht hier. Der Horizont der Planstellenwirtschaft ist weit. Aluminiummotoren bei Autos (ALU, igitt!) werden verboten. Stahl, lange dünngewalzt, ist angesagt. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Und außerdem, aber ja doch, wir verfügen über eine ganze Gruppe von Menschen, deren Erfahrungen und Qualifikationen bisher sträflich vernachlässigt und die in ihrer Berufsehre gedemütigt wurden, hier könnten sie zum Zuge kommen: die Erfindung von Kriterienkatalogen zur Erteilung von Aufträgen als bürokratische Bewährungsprobe für die planwirtschaftserfahrenen Verwaltungskader aus Deutschlands Osten.

Und so zeichnet sich eine weitere segensreiche Konsequenz der Beschäftigungsgesellschaft ab — und dies gar noch völlig marktwirtschaftlich: es entsteht steigende Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt für realsozialistisch erfahrene Bereichs- und Abteilungsleiter. Die müßten gar nicht erst umlernen, die Beschäftigungsgesellschaft macht die Qualifizierungsoffensive glatt überflüssig. Der „Aufschwung Ost“ wäre gesichert, „Überholen, ohne einzuholen“ bald schon keine leere Phrase von Walter Ulbricht mehr und die „deutsche Revolution“ wahrhaft vollendet. Ulrich Hausmann