Messerstiche für Rushdie-Übersetzer

Anschlag gegen italienischen Übersetzer der „Satanischen Verse“/ Attentäter vermutlich Iraner/ Messerstiche könnten die Öffnung der EG für den Iran gefährden/ Todesurteil gegen Salman Rusdie von der Teheraner Führung bisher nicht annulliert  ■ Aus Rom Werner Raith

Für Italiens Außenminister Gianni De Michelis, sowieso gebeutelt von der Unsicherheit der derzeitigen Mission der EG-Troika, wäre es „sehr, sehr schlimm, wenn da mehr als die Verblendung eines Fanatikers dahinterstünde“. Oberitaliens eben mit Teheran wieder ins Geschäft gekommene Industrie sieht gar schon „Heckenschützen“ am Werk, die die „Normalisierung boykottieren wollen“: Am Mittwoch hat ein bisher unbekannter Mann, vermutlich ein Iraner, in Mailand den Übersetzer der Satanischen Verse Salman Rushdies, Ettore Capriano, niedergestochen. Die Verletzungen am Arm und im Gesicht sind nicht lebensgefährlich, der Schock, den der 65jährige erlitten hat, machte den Ärzten zunächst mehr zu schaffen.

Der Täter hatte sich mit dem Übersetzer telefonisch verabredet, weil er angeblich dessen Rat bei einer wichtigen Übersetzung brauchte. Doch in die Wohnung eingelassen, versuchte er sofort, den gegenwärtigen Aufenthaltsort Rushdies aus Capriano herauszufragen; als dieser erklärte, den Dichter nur einmal gesehen zu haben und nicht zu wissen, wo er derzeit sein könne, zog der Besucher das Messer.

Khomeinis Fatwa immer noch in Kraft

Über das Motiv der Tat herrscht wenig Kopfzerbrechen: noch immer gilt das am 14. Februar 1989 von Ajatollah Khomeini ausgesprochene Todesurteil gegen den Verfasser der Satanischen Verse. Auch wenn Rushdie, immer noch verborgen lebend, inzwischen tätige Reue gezeigt hat und von seinem Werk abgerückt, ja offiziell wieder in den Schoß des Korans zurückgekehrt ist. Bald nach dem Todesurteil hatte es regelrechte Attentatsserien gegeben: In England mußte Rushdie unter Polizeischutz gestellt werden, Büchereien, die sein Opus ausstellten, gingen in London, Mailand, Turin, Amsterdam, Brüssel, New York und Paris in Flammen auf, Buchhändler wurden vor ihrem Geschäft angegriffen. In Yorkshire wurden alle greifbaren Exemplare des Buches auf einem Scheiterhaufen verbrannt, in Südafrika die Einladung des Schriftstellers zu einem Kongreß (paradoxerweise just über Pressefreiheit) annulliert. In Italien gab es Drohungen selbst gegen das Grab des schon sechshundert Jahre toten Dante Alighieri wegen antiislamischer Passagen in seiner Divina commedia. Und dann wurde in Belgien der Leiter der islamischen Gemeinde wegen angeblich zu nachgiebiger Haltung gegenüber Rushdie ermordet.

Ein Attentat zur schlechtesten Zeit

Ob das neuerliche Attentat dem Geist eines fanatischen Spät-Khomeinisten entspringt oder ob ein Plan dahintersteht, der die derzeit massiven diplomatischen Anstrengungen der iranischen Führung treffen will, ist unklar. Tatsache ist, daß der Anschlag zu einem Zeitpunkt kommt, wo die Erinnerung an das nicht aufgehobene Todesurteil in jedem Fall Irritationen auslösen und der Druck auf Teheran zu einer klaren Rücknahme steigen wird. Dem aber kann die dortige Führung derzeit aus innenpolitischen Gründen nur schwer nachgeben.

Iran als Geschäftspartner wieder akzeptiert

Doch nicht nur für die iranische Führung würde damit die Lage prekär — auch die Europäer sehen den Attentatsfolgen mit Bange entgegen. Schon hat — nach einer Art „Vortest“ der öffentlichen Meinung durch Österreichs Bundespräsident Waldheim, der in Teheran als „Opfer des Zionismus“ begrüßt wurde, und einem Besuch des iranischen Außenministers im westlich orientierten Saudi-Arabien — mittlerweile die Crème de la Crème europäischer Politiker ihre Aufwartung in Teheran gemacht oder Besuch von dort empfangen. Die „EG-Troika“ war bereits dort, Deutschlands Genscher ebenso wie Portugals Handelsminister, Wirtschaftsminister Möllemann war Mitte dieser Woche dort. Der iranische Außenminister Welajati verhandelt gerade in Paris, Präsident Mitterrand hat seinen Flug nach Teheran für Herbst angekündigt — und dies, obwohl der seit Jahren laufende Finanzstreit wegen des 1978 durch Khomeini einseitig gekündigten Vertrags um ein Kernkraftwerk noch immer nicht beigelegt ist.

Für die Europäer steht kaum weniger auf dem Spiel als für den Iran: Sie sehen den Iran und die anderen islamischen Länder als mögliches Ersatzgebiet für den Irak, für ihre Waren und Dienstleistungen an.

Eine Schlüsselrolle wird bei der Einschätzung der neuen Lage innerhalb der EG Großbritannien zufallen. Es hatte seinerzeit — Rushdie lebte in London — den Iran besonders scharf gemaßregelt und ist bis heute nicht sonderlich geneigt, Gras über die Sache wachsen zu lassen, wenn die Führung in Teheran dem Verdikt Khomeinis nicht ausdrücklich abschwört. Da dies unwahrscheinlich ist, fürchten die anderen EG-Länder, daß die Engländer das Attentat als Hebel benutzen werden, um ihnen die ungestörte Fortsetzung ihrer Wirtschaftsgespräche zu vermasseln.