Ruhe im „Land der großen Stille“

Das Städtchen Feldberg in Mecklenburg zwischen sanftem Tourismus und Massenansturm  ■ Von Roman Grafe

„In Mecklenburg passiert alles hundert Jahre später — einschließlich Weltuntergang.“ Diese Volksweisheit bekommt man in Feldberg (Mecklenburg) immer wieder zu hören. Dem Ort war es vorbehalten, als letzter in Deutschland seine Postkutschenverbindung zur Außenwelt aufzugeben — am 21.Dezember 1910. Am gleichen Tag wurde die durchgängige Eisenbahnverbindung nach Neustrelitz eröffnet. Mit der Bahn kamen im Laufe der Jahre Hunderttausende Erholungssuchende in die Idylle aus Buchenwäldern und eisklaren Rinnseen. Das Geschäft mit den Urlaubern lohnte sich. In Feldberg wurde neugebaut, angebaut, umgebaut...

Nach 1945 klotzte der FDGB-Feriendienst ein mehrstöckiges Bettenhaus in die Landschaft. Bis zur Wende zählte man jährlich über 80.000 Touristen in Feldberg. Jetzt ist auch hier alles anders: „Das Geschäft läuft beschissen“, klagt Horst Berg, Betreiber eines Bootsverleihs. — „Der ehemalige DDR-Bürger drängt sich an die südlichen Strände und die Westdeutschen müssen uns erst entdecken. Zur Zeit haben wir knapp 200 Gäste im Ort. Dabei war das FDGB-Heim schon zu 80 Prozent ausgebucht, als es im Januar von der Treuhand per Fernschreiben geschlossen wurde. „108 Arbeitsplätze mit einem mal weg!“ Frau Ursel ruft dazwischen: „Feldberg darf nicht sterben!“ Horst Berg schimpft weiter: „Jetzt will unser Stadtdirektor, ein Herr aus Osnabrück, am liebsten eine Glasglocke über das Gebiet hier stülpen. Naturpark Feldberg-Lychener-Seenplatte heißt das dann. Und wovon sollen wir leben?“ Was er vom sanften Tourismus hält? — „Das ist hier bald so sanft wie auf'm Friedhof!“

Dabei hat der Ort einiges zu bieten: Für wenig Geld kann man sich hier Segel- und Ruderboote ausleihen, es finden Dichterlesungen, Orgelkonzerte und Lichtbildabende statt und die Zimmer sind preiswert. Albert Pfitzner jun. vom Feldberger Verkehsrverein hat konkrete Vorstellungen: „Nachdem die Landwirtschaft, das zweite wirtschaftliche Standbein Feldbergs, nicht mehr konkurrenzfähig ist, werden die Feldberger allein vom Tourismus leben müssen. Aber nicht von den paar Leuten, die allein an der Landschaft hier interessiert sind. Die beschäftigen höchstens ein paar Wanderleute.“ Der junge Mann träumt in größeren Dimensionen: „Ein großes Kultur- und Sportzentrum muß in der Stadt gebaut werden — mit Fitneßcenter, Solarium, Squash, alles, was man so spielt. Wir ziehen dann die Leute mit ihren verschiedenen Interessen zu verschiedenen Orten.“ Hat er keine Angst vor mehr Autos, mehr Lärm, mehr Müll? „Ich werde immer ein Streiter für die Natur sein, aber ich bin auch Realist.“ Und wohin mit all den zu erwartenden Menschenmassen mit ihren Autos? Auch dafür hat Albert Pfitzner eine Lösung parat: „Auf Flächen, die im Moment nichts bringen — Ackerflächen zum Beispiel.“

Albert Pfitzner weiß um die Zerstörung der Umwelt durch den Menschen. Er beklagt das Verschwinden des Hechtes aus dem Feldberger Haussee aufgrund der Wasserverschmutzung. „Der Hecht ist als Jäger auf gute Sicht angewiesen.“ Der Haussee dient seit Jahren einigen begeisterten Wasserskianhängern als Tummelplatz. Dadurch, so ist es auch im Heimatmuseum zu lesen, schwindet der Schilfgürtel am Seeufer weiter. Der Vorsitzende des Wasserskiclubs winkt ab: „Wo unsere Motorboote fahren, wächst das Schilf am besten. Das hängt mit der guten Wasserdurchmischung an diesen Stellen zusammen.“

Michael Karzikowski setzt seit vielen Jahren am „Schmalen Luzin“ bei Feldberg die Leute mit dem Kahn über den See. Er habe ja „das Ohr bei den Leuten“. Und was sagen die? — „Besucher aus den alten Bundesländern meinen immer wieder, wir sollen nur unsere wunderbare Landschaft hier bewahren. Aber die Leute im Ort wollen gleich alles ,super‘ machen — so eine Mischung aus Timmendorfer Strand und Garmisch-Partenkirchen.“ Sieht er denn eine Alternative? — „Ich bin mir sicher, daß in einigen Jahren Feldberg ein beliebtes Ziel für Berliner Intellektuelle und Leute aus der ,Grünen Bewegung‘ sein könnte, wenn wir keine Betonklötze mehr hinsetzen.“

Ob es gelingt, das Feldberger Seengebiet, die wohl besterhaltene Endmoränenlandschaft Europas, mit ihrer Vielfalt an Schönheiten zu bewahren, wird auch an den Verkehrswegen liegen, die den Touristen nach Mecklenburg bringen. Noch ist die Bahnverbindung nach Neustrelitz nicht stillgelegt.