Die Schmerzgrenze ist erreicht

■ Eine Pressekonferenz des Betriebsrates der NARVA-BGW GmbH — 11. Lieferung

In einer Textsammlung (mit dem Titel Babelsberg) hatten wir einem (allerersten) Narva-Bericht eine Recherche über einen Westberliner Großbauunternehmer, Karsten Klingbeil, vorangestellt. Das war Ende letzten Jahres gewesen. Und nun erfuhren wir, daß die »Klingbeil- Gruppe« ein Kaufangebot für Narva bei der Treuhand eingerichtet hat. Sind wir vielleicht gar nicht so einflußlos, wie wir immer denken, sondern Subjekt — Drehbuchschreiber gar — der Geschichte?

Neben Klingbeil hatte auch noch das »Immobilien-Entwicklungsunternehmen« Conle aus Duisburg, ein 100-Millionen-Mark-Investitionsvolumen für das BGW entworfen. Und dann gibt es immer noch die Übernahmeofferte des japanischen Lampenherstellers »Phoenix Electric«. Da jedoch sowohl der Betriebsrat als auch der Aufsichtsrat und die Geschäftsführung — irrtümlicherweise zwar, aber zumindest teilweise interessegeleitet — davon ausgingen, daß die Japaner die jetzt schon von rund 4.000 auf 1.400 Beschäftigte geschrumpfte Belegschaft noch einmal erheblich reduzieren wollen (und die Geschäftsleitung wohl auswechseln werden), übergaben sie Ende letzten Monats der Treuhand eine Empfehlung, in der sie sich für die Übernahme Narvas durch die Firma Conle aussprachen: »Das ist eine ganz reiche Familie, Mitgründer der LTU, die wollen wieder in die Produktion rein!« Obwohl schon in Ansätzen erste gemeinsame Produktideen mit Phoenix bestehen, hergestellt durch das Aufsichtsratsmitglied Hägele Jr., der mit einem französischen Baron und Lampenerfinder in Konstanz zusammenarbeitet, ist man in der Narva-Geschäftsführung mehrheitlich der Ansicht, das BGW sei ein zu großer Brocken für die kleine japanische Firma. Der Betriebsrat gibt jedoch zu: »Wir wissen leider nicht, welcher Investor nun wirklich das Gelbe vom Ei ist.« Ganz sicher ist man sich nur in der Ablehnung der Klingbeil-Gruppe, deren Vertreter sich bei einer Betriebsbesichtigung nicht entblödeten, sich laut darüber zu unterhalten, wo der Swimmingpool hinkommt und welche Gebäude verschwinden müssen. »Wir wollen und können keine Immobilienfirma akzeptieren. Wir wollen auch in Zukunft hier das tun, was wir können, nämlich Licht produzieren«, so der neue Betriebsratsvorsitzende des BGW, Michael Müller, ein ehemaliger Einrichter in der Allgebrauchslampenfertigung, wo zu Spitzenzeiten 104 Millionen Birnen produziert wurden (Osram bringt es in seinen diversen Fabriken auf rund 3 Millionen im Jahr)...

Seit der Währungsunion sind die Produktionsziffern bei Narva kontinuierlich gesunken — und damit die Schulden gestiegen. »Wenn in den nächsten acht Wochen keine Entscheidung bei der Treuhand fällt, wird es finster.« Die Pressekonferenz wollte der Betriebsrat als eine erste »Warnung« verstehen, weitere Aktivitäten — Demonstrationen, Besetzungen etc. — sei man aber auch durchaus gewillt zu ergreifen, »wenn nicht bald etwas passiert«. »Sofortiger Klärungsbedarf« bestünde insbesondere bei der Lehrlingsausbildung (im September würden zudem noch 18 neue anfangen), bei der Neuinvestition (z.B. für die Marketingstrecke, dafür wurde gerade ein dritter Geschäftsführer eingestellt) sowie bei den ABM-Stellen, die für eine Projektgruppe »Beschäftigungsgesellschaft« dringend benötigt werden. Bisher wird dieser Bereich noch von der Patentassessorin Ulrike Ahl »quasi als Hobby nebenbei« bearbeitet. Weil Betriebsrat und Geschäftsleitung sich in Bbzug auf die Privatisierung im wesentlichen einig sind, hat auch der zwölfköpfige Aufsichtsrat, in dem auf der Arbeitnehmerseite einige West-IG-Metaller sitzen, eine gewisse Kampfmaßnahme angedroht: ihren Rücktritt zum 17. Juli. Auch sie bekamen von der entsprechenden Treuhandabteilung (Herr Lang) bisher keine Details aus den Kaufangeboten zu sehen. Bei der Treuhand-Beratungsfirma Price Waterhouse sagte mir die »Narva-Betreuerin«, Frau Schäfer: »Die Sache wird jetzt so sensitiv, ich sollte lieber gar nichts sagen.« Und daran hielt sie sich dann auch.

Die Folgen der verlorenen »friedlichen Revolution« haben allenthalben in der DDR dazu geführt, daß die Tiptop-Politiker und -Manager versuchen, die Dinge möglichst unter sich zu regeln. Jetzt, nach dem »Großflugtag« 2. Juli, dem Tag der Massenentlassungen der Nullstundenkurzarbeiter, drängt es aber langsam die Betriebsräte zu ersten ernsten Taten. Ein halbes Jahr lang waren sie primär damit beschäftigt gewesen, die Belegschaftsreduzierung »so sozial wie möglich« abzuwickeln, immer mit der Perspektive und Entschuldigung, damit den Betrieb wenigstens zu erhalten. Nun werden aber bereits die nächsten Kündigungslisten aufgestellt, und es gibt schon die ersten Erfahrungen mit den privatisierten Betrieben, wo sich viele der neuen Westbesitzer überhaupt nicht an ihre großspurigen Investitionspläne gebunden fühlen. Die Japaner und die Duisburger haben angeblich für das BGW in etwa den Erhalt von 600 bis 900 Arbeitsplätzen versprochen, letztere, die Familie Conle, will aber zusätzlich noch die ehemalige Narva- Tochter in Brand-Erbisdorf (mit 200 Arbeitsplätzen) wieder flottmachen, sowie mit dem Berliner Stammbetrieb aus Friedrichshain weg auf »die grüne Wiese« ziehen. Das würde nicht nur der bequemeren Ver- bzw. Entsorgung der Produktionsstrecken dienen, sondern zudem auch noch die mehrere 100 Millionen Mark schwere Immobilie am Warschauer Platz (93.000 m2) frei machen. Diese Idee wird den Duisburger Grundstücksdealern besonders gefallen haben: von Lampen wissen sie bisher nur so viel, daß sie beim Anknipsen nicht den Raum verdunkeln. Im Gegensatz zur Phoenix Electric, die nicht nur schon ein weltweites Lampen-Vertriebsnetz besitzen, sondern hinter denen auch die japanische Treufaust — das »MITI« — steht, wo Birgit Breuel gerade versprach, daß ihre Treuhand bei einem Firmenverkauf die erforderlichen Entlassungen übernehmen. Die deutsche Behörde übergebe ein Unternehmen mit der Belegschaftszahl, die der neue Besitzer wünsche. Daheim, d.h. auf der Pressekonferenz im Hotel Berolina, sprach die ehrenamtliche Betriebsrätin Ulrike Ahl davon, daß die entlassenen Älteren, zwischen 45 und Vorruhestand, sowie die Mütter mit Kindern so gut wie keine Chance auf einen neuen Arbeitsplatz hätten (im einstigen Ostberliner Renommierbetrieb Narva waren besonders viele Frauen beschäftigt): »Ich kenne welche, die haben schon bis zu 75 Bewerbungen geschrieben.«

In der Pressemitteilung des Betriebsrates heißt es am Schluß: »An dieser Stelle können wir mit den Fakten enden und bleiben mit unserer Befürchtung für unsere Zukunft hoffentlich nicht allein.« Bereits am nächsten Tag, gestern, ergab dann eine erste Pressedurchsicht, daß die Redakteurin der 'Berliner Zeitung‘ davon ausging, Phoenix Electric und Klingbeil würden nur auf die »attraktive Immobilie spekulieren«, während ein 'Tagesspiegel‘-Redakteur von der Treuhandanstalt erfahren hatte, daß »ein industrieller Investor die Glühlampenproduktion reduziert weiterführen« soll, »keinesfalls« werde Narva an einen Immobilienmakler verkauft. Klare Worte, nur geht daraus nicht hervor, als was man nun die Familie Conle aus Duisburg einschätzt. Immerhin, rechnet man die zwei Artikel über Narva und diesen Bericht als quasi bezahlte Anzeigen, dann haben sich die belegten Schnittchen und die warmen Würstchen für die Presse doch in etwa gelohnt. Ärgerlich bleibt dann nur, daß der Betriebsrat für teures Geld die Agentur J.M.F. Penton Marketing beauftragte, die Einladungen per Telefax zu verschicken. Das hätten wir besser und billiger — nämlich umsonst — gekonnt. Agentur

»BILD kämpft für NARVA«