Die Unauffälligen

■ Filmausstatter in der Berliner Akademie der Künste

Der Filmausstatter Boris Leven — er arbeitete mit Sternberg und Preminger, mit Wise und Scorsese — wurde einmal gefragt, was er denn nun eigentlich sei: Künstler, Architekt, Designer, Illustrator oder etwa nur Zeichner? Levens Antwort war einfach: all dies und noch mehr — ein Träumer, ein Geschäftsmann und ein Diplomat.

Die Ausstattung verleiht Aussagen und Wesen, Stil und Atmosphäre eines Films in Räumen und Formen Ausdruck. Ein Metier, in dem sich keine Routine einstellt: Jede Geschichte stellt neue Herausforderungen an die Vorstellungskraft und den Handwerkerstolz der Filmbildner.

Unter dem Motto „Gebaute Illusionen — Filmphantasien zwischen Mythos und Mathematik“ spürt die zweite Europäische Sommerakademie diesen Herausforderungen nach. Das Konzept der begleitenden Ausstellung „Filmszenografie“ ist denkbar einfach: Die eingeladenen Gäste aus Europa und den USA zeigen Entwürfe, Arbeitsfotos und Modelle. Was auf den ersten Blick wie eine Stegreifauswahl wirken mag, überdies mit wenig Gespür für Ausstellungsdramaturgie in Szene gesetzt ist, erhellt auf den zweiten jedoch erstaunlich viele Facetten der Arbeitsprozesse. Ein Kriterium für eine gute Filmausstattung ist: Sie soll nicht auffallen. Die Ausstellung gestattet einen Blick hinter die Kulissen der Illusionen, jedoch ohne daß man dabei allzu viele Illusionen verliert.

Ein erster, etwas aufdringlicher Blickfang sind die Entwürfe Thierry Flamands für Wenders' futuristisches Road Movie Bis ans Ende der Welt. Ein Film, für den offensichtlich jedes Detail erfunden werden mußte. Flamands kühle Imaginationen delirieren geradezu in einer Alles-ist-möglich-Virtuosität. Seine Zeichnungen und Farbentwürfe (im Stil der Comicphantasien Enki Bilals) wirken indessen eher verspielt als wahrhaftig avanciert. Immerhin gelingt ihm auf einem Matte-Gemälde (einer Kombination von gemalten Bildausschnitten und einer gefilmten Szene) ein hübsch kalkulierter Affront gegen die Berliner Selbstgewißheit: In seiner Zukunftsvision wird das Brandenburger Tor überwölbt von einem gigantischen Glaspalast.

Die Arbeiten des Italieners Andrea Crisanti belegen, wie sehr der Ausstatter für die visuelle Geschlossenheit eines Films verantwortlich ist. Er balanciert die Diskrepanz zwischen Vorgefundenem und Gebautem aus: Sein Cinema Paradiso baute er mitten auf den Marktplatz eines verschlafenen Dorfes in Sizilien. Eine Zeichnung zu Nostalghia hebt den Gegensatz zwischen Innen und Außen fast märchenhaft auf: Eine Flußlandschaft setzt sich geradewegs durch die Tür in einen Raum fort. Auch die melancholischen Kulturschocks der Plateaus Tarkowskis hat Crisanti architektonisch trefflich grundiert: Er baute sein Miniaturmodell einer russischen Landschaft inmitten einer Kathedrale unweit Sienas auf. Die Forderung, die Ausstattung müsse die Stimmung eines Films und seine psychologische Textur vergegenständlichen, hat er hier auf verblüffende Weise eingelöst.

Die Erzählkraft von Raum, Licht und Bewegung suggerieren die Filmbildner, je nach Selbstverständnis, im Spannungsfeld zwischen Architektur und Malerei. Felix Murcia — für Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs mit dem europäischen Filmpreis ausgezeichnet — hat aus Spanien vor allem klassische Architekturzeichnungen mitgebracht: Grundrißzeichnungen, Fassadenaufrisse, bauliche Details. John Ebden nimmt in seinen kargen und düsteren Kreidezeichnungen schon die Atmosphäre von I hired a contract killer vorweg. Die „optischen Drehbücher“ des DEFA-Ausstatters Alfred Hirschmeier stellen eine ungleich ausgefallenere Technik dar: für Heiner Carows nicht realisierte Simplicius Simplicissimus-Adaption hat Hirschmeier fabelhafte Folien gezeichnet und sie auf abfotografierte reale Hintergründe geklebt.

Wie intim der Bezug zwischen Dekor und Inszenierung sein kann, beweisen zwei Storyboards des Hollywood-Veteranen Henry Bumstead. Seine Szenenfolgen für Wer die Nachtigall stört und Scorseses Remake von Cape Fear hat er bereits in Einstellungen begriffen und denkt die filmischen Visionen bis hin zu Kamerabewegungen schon auf dem Papier vor.

Gelegentlich überschreitet die Ausspielung die Grenzen ihres Gegenstandes und verweist auf Nachbarbereiche wie die Bühnenausstattung: So präsentiert etwa der Berliner Jan Schlubach Beispiele seiner Theaterarbeit, wie seinen legendären illusionistischen Landschaftsprospekt für Steins Drei Schwestern- Inszenierung.

Die umfangreiche Werkschau Heidi und Toni Lüdis endlich ist eine Einladung, Produktionsprozesse in ihrer Gesamtheit minuziös nachzuverfolgen. Mit viel Sinn für das Dekorative sind sie als Collagen aufbereitet. Budgets, Tagesdispositionen und Motivlisten für Der Himmel über Berlin finden sich hier ebenso wie Polaroidaufnahmen von der Motivsuche. Skizzen zeigen Sets und Alternativlösungen. Historische Recherchen und Milieustudien (für Die Schaukel) sind akribisch dokumentiert; nicht einmal die Stoffmuster für den Zirkuswohnwagen aus Der Himmel über Berlin fehlen.

Diese reich facettierte Darstellung des Schaffensprozesses macht deutlich: Die Ausstattung dient nicht allein der Umsetzung des Drehbuches, jeder gute Filmbildner will es auch interpretieren. Wenn man gelegentlich auf einem Arbeitsfoto einen Regisseur sieht, erscheint der beinahe überflüssig. Gerhard Midding

Arbeitsausstellung Filmszenographie, im Rahmen der Europäischen Sommerakademie '91 Film und Medien, zu sehen bis 19.7. in der Akademie der Künste (West).