Vorläufiges Ende der Zahnspange

Gabriela Sabatini schlug den pausbäckigen Teenie Jennifer Capriati, während Steffi Graf schlecht spielte und doch gewann/ Heute streiten sie im Finale von Wimbledon um die Tenniskrone  ■ Aus Wimbledon Michaela Schießl

Natürlich war sie nicht ganz zufrieden mit sich, Steffi Graf. Statt gegen Mary Joe Fernandez glatt ins Finale durchzurutschen, mußte sie sich erst einmal ein wenig strecken. Nicht, weil die damenhaft spielende Amerikanerin ein Mittel gegen das gräfliche Power-Play aufzubieten hatte. Es waren die unforced errors, die Fehler ohne Not, die Frau Graf im ersten Satz zwei, im zweiten gar vier Spiele kosteten. Doch die bei solchen Fällen gewöhnlich auf der Tagesordnung stehende verbale Selbstkasteiung blieb diesmal aus. Im Gegenteil: Frau Vorhand aus Brühl war bester Laune. „Ich war zwar nicht so gut wie in den Spielen zuvor, aber ich bin sehr froh, daß ich so schnell gewonnen habe“, diktierte sie in die Blöcke und prustete vor Vergnügen.

Auch der Versuch, was Ernsthaftes, Bleibendes, Getragenes zu sagen, schlug fehl. „Ich muß niemandem etwas beweisen. Nur mir selbst, daß ich besser spielen kann als andere“, und wieder kicherte sie los. Steffi Graf hat gut lachen. Monatelang beteuerte sie, wie perfekt sie im Training spiele, doch im Ernstfall ging es meistens den Bach runter. Nun in Wimbledon brachte die Trainingsweltmeisterin erstmals wieder ihre Form mit auf den Court. Ausgelassen tänzelte sie auf dem Rasen herum und peitschte auf ihre Gegnerin ein. Immer wieder Vorhand, Vorhand, Vorhand mit — wer hätte das geahnt? — eingestreuten Rückhand-Slices. Topspin-Fans warten nach wie vor auf ihre Befriedigung. „Back to the roots“ ist Steffis Devise. Sie warf alle Experimente über Bord und setzte wieder auf den Vorhand- Winner. Die Taktik, einfach aber erfolgreich, geht auf. Steffi spielt wieder Tennis, wie es ihr steht: klar und deutlich. „Das wurde auch Zeit, daß sich das harte Training endlich auszahlt“, findet die mit heftiger Ungeduld ausgestattete Graf.

Doch das wahre Problem lag — natürlich — im mentalen. „Ich habe endlich wieder meinen Kopf auf dem Platz. Ich bin auf dem richtigen Weg die letzte Zeit.“ Tatsächlich scheint sich die Affäre ihres Vaters nicht mehr auf ihr Tennis auszuwirken. Ohne einen einzigen Satz abzugeben, schlug sie sich ins Finale durch. Einheitliche Meinung der Betrachter: Steffi Graf ist nicht zu schlagen.

Die letzte Chance, dies doch zu tun, hat heute ohnehin nur noch Gabriela Sabatini. Allerdings: Wer sie gesehen hat, hält auch ihre Gewinnchancen für durchaus realistisch. Was die Weltranglistendritte gegen die 15jährige Navratilova-Bezwingerin Jennifer Capriati zeigte, war nicht nur faszinierend, es war zudem schlau. Mit perfekter Technik und durchdachter Taktik zog sie ihr quasi die Zahnspange auf dem Platz aus. Statt es wie Frau Navratilova mit Serve-and-Volley auf Teufel komm raus zu probieren und passiert zu werden, blieb die Argentinierin hinten und wartete auf echte Chancen. „Sie hat mich laufen lassen“, klagte Jennifer Capriati, die nur selten in die Position kam, ihre gefürchteten Passierbälle anzubringen. Zudem schlug sie erheblich schlechter auf als noch im Match zuvor. Doch die junge New Yorkerin hat Biß. „Nachdem ich im zweiten Satz vier Matchbälle abgewehrt hatte, dachte ich noch, vielleicht kann ich zurückkommen.“ Doch Sabatini hatte keine Angst vorm Siegen. Sie zog ihr letztes Spiel durch und ließ keinen weiteren Zeifel daran, wer die Königin auf dem Platz ist. Mit 6:4 und 6:4 beendete sie den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg des Wunderkindes, und kommt ebenfalls ohne einen einzigen Satzverlust ins Finale.

S.G. muß sich schwer in acht nehmen heute vor G.S. Die 21jährige Argentinierin kann neuerdings mehr als geniale Schläge. Sie findet seit Sonnyboy-Trainer Kirmayr sie betreut, zu jeder Situation die passende Antwort. Da folgt wenn nötig, dem Rückhand-Slice ein Topspin, dem Stoppball eine Vorhandpeitsche. Wenn sie unter Druck kommt, nimmt sie das Tempo raus, um, sobald sich eine Chance bietet, ans Netz zu stürmen und den Punkt zu machen. So ist die US-Open-Siegerin und Dritte der Welt natürlich „absolut zuversichtlich“ und freut sich aufs Finale. Wen wundert's, ihre Chancen stehen gut. Zwar siegte Frau Graf in 20 von 29 Begegnungen. Nur, die letzten fünf gewann Sabatini. Doch auch Steffi Graf, die 1988 und 1989 in Wimbledon triumphierte, will ihre Gegnerin mit Zuversicht schlagen. „Ich glaube, ich werde gewinnen.“ Allheil- und Siegmittel für beide: „mehr Aggressivität“. Und während die Beobachter fachmännisch das Für und Wider diskutieren, wilde Prognosen aufstellen und verwerfen, spricht einzig Jennifer Capriati das aus, was alle insgeheim ahnen: „Die Chancen stehen 50:50.“

Frauen-Einzel, Halbfinale: Steffi Graf (Brühl) — Mary Joe Fernandez (USA) 6:2, 6:4; Gabriela Sabatini (Argentinien) — Jennifer Capriati (USA) 6:4, 6:4