EG-Außenminister im Widerstreit

Waffenembargo und Stopp der Finanzhilfe an Jugoslawien/ Keine Anerkennung Sloweniens  ■ Aus Den Haag Michael Bullard

„Weil die Toten in Jugoslawien immer mehr werden“, hatte der belgische Außenminister Eyskens am Vorabend der EG-Krisensitzung in Den Haag erklärt, solle die Gemeinschaft endlich handeln. Wirtschaftssanktionen und Beobachtermissionen allein seien nicht ausreichend. Um weiteres Blutvergießen zu verhindern, müsse die EG auch die beiden Sezessionsrepubliken Kroatien und Slowenien anerkennen. Jugoslawien, warnte Eyskens, ließe sich nicht länger zusammenhalten. Ins selbe Horn stieß auch Bundesaußenminister Genscher am Freitag in Den Haag: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker sei „oberstes Gebot“. Die Mehrheit der zwölf Außenminister waren von so viel Enthusiasmus für die Unabhängigkeit der Völker allerdings nicht begeistert.

Auf Initiative der Regierungen Frankreichs und Spaniens beschlossen sie stattdessen, noch am selben Tag eine EG-Troika nach Jugoslawien zu entsenden — zum dritten Mal innerhalb einer Woche. In Vertretung ihrer Außenminister fliegen dieses Mal hohe Beamte aus Holland, Luxemburg und Portugal. Sie werden dort eine sogenannte „Mission“ von 30—50 zivilen und militärischen EG-Beobachtern vorbereiten, die die Einhaltung des Waffenstillstands überwachen sollen. Außerdem einigten sich die EG-Außenminister darauf, keine Waffen mehr in den Krisenstaat zu liefern und die Finanzhilfe einzufrieren. Die diplomatische Anerkennung Kroatiens und Sloweniens wollten sie sich aber noch aufheben — für den Fall, daß die Bundesarmee erneut zuschlägt.

Trotzdem zeichnet sich ein langsamer Kurswechsel in der Jugoslawienpolitik der EG ab. Zwar soll das Auseinanderfallen des Vielvölkerstaates verhindert werden. Bis vor zwei Monaten setzten die Europa- Lenker dabei jedoch allein auf die Belgrader Bundesregierung. Im Mai entdeckten die EG-Minister plötzlich auch das in der Pariser KSZE- Erklärung festgehaltene Selbstbestimmungsrecht der Völker, ohne allerdings ihr Engagement für die Zentralregierung zu verringern. Seit dem EG-Gipfel in Luxemburg letzte Woche wächst nun die Kluft zwischen den Sezessionsgegnern in Paris oder Madrid und den Befürwortern in Brüssel und Bonn.

Natürlich müsse für die beiden widerstreitendenden Prinzipien — staatliche Integrität und Selbstbestimmungsrecht der Völker — eine Lösung gefunden werden. Doch „was wir heute im Falle Jugoslawiens sagen“, so der französische Außenminister, „muß morgen auch für andere Regionen gelten“. Dabei denkt Dumas wohl nicht nur an die eigenen Separatisten in Korsika und in der Bretagne. Eher könnten Minderheiten in Osteuropa und der Sowjetunion, befürchtet er, den Kroaten und Slowenen folgen. Eine Entwicklung, die nicht nur den Führungsanspruch der EG in Europa sprengen, sondern auch die Rolle Frankreichs in der EG unterminieren könnte.

Nach Berichten der französischen 'Liberation‘ schrillen im Pariser Außenministerium seit Tagen die Alarmglocken ob der deutschen pro- separatistischen Äußerungen. Von der Auferstehung des Habsburger Reichs soll in Paris die Rede sein — nach der Wiedervereinigung nun noch die Ausweitung des deutschen Einflusses über Österreich auf Slowenien. Skepsis zeitigt auch Genschers unermüdlicher Einsatz als KSZE-Vorsitzender im Jugoslawien-Konflikt. Um dessen Großmachtpolitik einen Riegel vorzuschieben, warnte Dumas gestern: „Die EG muß auf jeden Fall verhindern, daß einige Republiken unter ausländischen Einfluß geraten“.

Auf wen er damit anspielte, wollte Dumas nicht verraten. Neben den Erben der k.u.k.-Monarchie bemüht sich vor allem der italienische Außenminister de Michelis im Rahmen seines regionalen Großmachtkonzepts — eines Zusammenschlusses Italiens mit Jugoslawien, Ungarn, der CSFR und möglicherweise Albaniens — um Einfluß auf den Nachbarstaat. Dazu hat er bereits für heute ein Treffen der jugoslawischen Anrainerstaaten Österreich, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Griechenland und Albanien einberufen, um die Sezessionsrepubliken diplomatisch anzuerkennen.