Drei Generationen in Sicherheit vor dem Kälberbaron

■ Knapp drei Jahre nach Aufdeckung des bisher größten Kälbermastskandals der Republik hat gestern das Landgericht Münster die Schlüsselfigur Felix Hying zu einer Haftstrafe von...

Drei Generationen in Sicherheit vor dem Kälberbaron Knapp drei Jahre nach Aufdeckung des bisher größten Kälbermastskandals der Republik hat gestern das Landgericht Münster die Schlüsselfigur Felix Hying zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren und einem vierjährigen Berufsverbot verurteilt.

Felix Hying, mit 14.000 Mastkälbern einst einer der größten Kälbermäster der Republik, nahm das Urteil des Münsteraner Landgerichtes am Freitag ohne jede äußere Regung auf. Wegen illegaler Medikamentenbeschaffung, wegen Verstoßes gegen das Lebensmittelrecht und wegen Betruges verurteilte ihn die 9. Kammer zu einer Gesamtstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Sein einstiger Futtermeister Josef Vornholt kam mit einer Haftstrafe von einem Jahr und 6 Monaten wegen Beihilfehandlungen davon, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Da sowohl die Staatsanwaltschaft, die für Hying fünfeinhalb Jahre beantragt hatte, als auch die Verteidigung Revision ankündigten, wird der ehemals mächtigste Mann aus dem westfälischen Südlohn aber so bald nicht in den Knast umziehen müssen.

Bis 1988 war der „Kälberbaron“ im Münsterland eine ganz große Nummer. In eigenen Ställen und bei 52 Lohnmästern standen 14.000 Hying-Kälber. Durch seine „skrupellose Gewinnsucht“, so der Staatsanwalt in seinem Plädoyer, habe er sein Lebenswerk selbst zerstört. Er habe typischerweise für die „Drecksarbeit“ seinen Futtermeister eingesetzt, sagte der Gerichtsvorsitzende Skawran während der Urteilsbegründung. Die „Drecksarbeit“ bestand nach den Feststellungen des Gerichtes darin, daß Vornholt etwa 4.600 Kälbern einen illegalen Hormoncocktail spritzte. Mit diesen „Wachstumsbeschleunigern“ ließ sich die Mastperiode verkürzen und das Gewicht der Viecher erhöhen. Hying selbst hat nach Überzeugung des Gerichtes mindestens 50 Flaschen des schwarz hergestellten Hormoncocktails für jeweils 200 Mark gekauft. Kurz vor Ende des Prozesses hatte er in einem Teilgeständnis den Erwerb einiger Flaschen eingeräumt, gleichzeitig aber behauptet, nichts von den mit der Verabreichung der Mittel verbundenen Gesundheitsgefährdungen gewußt zu haben. Das Gericht wertete diese Darstellung nach 36 Verhandlungstagen und der Anhörung von 120 Zeugen und zehn Sachverständigen als reine Schutzbehauptung. Hying habe „gewußt“, daß die Anwendung jener Wachstumsfördermittel „verboten war“ und das Fleisch dieser Tiere nicht in den Handel durfte.

Aufgeflogen war der ganze Schwindel durch einen Veterinär aus Bocholt, der an dem inzwischen zu Ruhm gelangten Kalb 713 aus dem Bestand von Hying bei Routineuntersuchungen verdächtige Einstichstellen am Nacken fand. Der Großmäster versuchte danach, durch nächtliche Umstallaktionen zu retten, was nicht mehr zu retten war. Immer wieder brachten anonyme Hinweise die Behörden auf die richtige Spur. Als Hying sogar daranging, die Kälber aus beschlagnahmten Beständen in Nacht- und Nebelaktionen zu verhökern, wurde im August 1988 die Polizei zur Bewachung der Kälber in die Ställe geschickt. Bei 450 Probeschlachtungen wurde man 115 mal fündig. Daraufhin ließ der Oberkreisdirektor auf Anweisung des Düsseldorfer Landwirtschaftsministers Matthiesen alle Kälberbestände, in denen auch nur ein hormonell verseuchtes Kalb gefunden wurde, töten. 8.322 Hying-Kälber fielen diesem Beschluß zum Opfer. Sicher ist, daß viele der getöteten Kälber nicht mit Hormonen gespritzt worden sind. Hying selbst und weitere Mäster wollen auf dem Wege des Zivilrechtes deshalb Schadenersatz verlangen. In einem Einzelfall sind einem Landwirt schon Entschädigungszahlungen für fünf getötete Kälber zugesprochen worden.

Während nach deutschem Lebensmittelrecht ein einmal mit Hormonen behandeltes Kalb aus Gründen der Gesundheitsvorsorge nie wieder in den Handel gelangen darf, war die mit dem Verzehr der in den Handel gelangten Kälber verbundene tatsächliche Gesundheitsgefährdung wohl eher gering. Nach Auffassung der im Prozeß gehörten Sachverständigen ging nur vom Verzehr des Fleisches im unmittelbaren Bereich der Einstichstellen eine Gefahr aus. Das aber auch nur dann, wenn an drei aufeinanderfolgenden Tagen verseuchtes Fleisch gegessen worden wäre. Ganz vielen Menschen sei das wohl nicht passiert. Deshalb erkannte das Gericht — im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft — in der Spritzerei auch nicht auf einen „besonders schweren Fall“ von Gesundheitsgefährdung — der Hying eine weitaus längere Haftstrafe beschert hätte. Walter Jacobs, Münster