Massenentlassungen ohne ein Auffangnetz

Was geschieht mit 3.900 ehemaligen Beschäftigten des Halbleiterwerkes in Frankfurt/Oder?/ Auffanggesellschaft gebremst  ■ Von Irina Grabowski

Frankfurt/O. Nur Hiobsbotschaften waren in den letzten Wochen aus dem Halbleiterwerk (HFO) in Frankfurt/Oder zu vernehmen. Im Zuge der gigantischen Schrumpfung lief für 3.900 Beschäftigte Ende Juni der Kündigungsschutz aus. Der Kahlschlag traf quer durch die Bank sowohl Putzfrauen als auch Ingenieure. Was aus ihnen wird ist ungewiß, seitdem die Treuhand eine Beteiligung an einer Auffanggesellschaft abgesagt hat. Die Arbeitslosenzahl in der Oderstadt nähert sich damit peu à peu der 8.000er- Marke.

Als riesiger Auswuchs mikroelektronischer Monokulturenwirtschaft gab das HFO in der Vorwendezeit 8.000 Menschen Arbeit. Pünktlich zur Währungsunion brach der Binnenmarkt zusammen, wurden die ersten hundert Beschäftigten auf Kurzarbeit gesetzt. Ein Jahr danach hat sich diese Tendenz, trotz hin und wieder beschworener Aufwärtsbewegung, ins Bodenlose vertieft. Nach dem neuen Unternehmenskonzept werden ab 1993 im Frankfurter Werk, das Bestandteil einer Mikroelektronik-Technologie-Gesellschaft ist, 800 Beschäftigte Bauelemente montieren und messen. 100 Millionen Mark Umsatz müssen dann erreicht werden, um rentabel zu sein. In diesem Jahr beschert die Auftragslage — die Sowjetunion ist Hauptabnehmer von Bauelementen für die Unterhaltungselektronik — gerade mal 45 Millionen Mark Umsatz. Die Bearbeitung der Siliziumscheiben für die Chip-Produktion, hochsubventioniertes Kernstück des HFO, wird in den nächsten zwei Jahren „eingeschläfert“. Schon seit Monaten arbeitet der Betriebsrat an der Konzeption für eine Arbeitsförderungsgesellschaft. Unter der Voraussetzung, daß die Kurzarbeiterregelung teilweise bis zum Jahresende fortgeführt wird, sollen ABMler mit dem Ziel qualifiziert werden, sie an bestehende Handwerks- und Dienstleistungsbereiche zu vermitteln oder sie zur Existenzgründung zu befähigen.

Außerdem sollen unter dem Dach der Gesellschaft laufende Arbeiten der ehemaligen Forschungsabteilung weitergeführt werden. Helfen könnte dabei das Frankfurter Innovations- und Transferzentrum (FIT), das — erster Hoffnungsschimmer — in der vorigen Woche auf dem Gelände des untergehenden Mikroelektronikriesen eröffnet wurde. Als Keimzelle eines zukünftigen Industrieparks will das Drei-Mann-Unternehmen neu gegründeten kleinen und mittleren technologieorientierten Betrieben unter anderem kostenlos Geschäftspläne erstellen, öffentliche Finanzquellen erschließen, Innovations- und Marketingberatung anbieten. Geschäftsführer Siegfried Behrendt, der vorher als Technologe im Halbleiterwerk gearbeitet hat, betreut mittlerweile 18 Projekte, die sich zum Beispiel mit der Anwendung von Solar- und Recyclingtechnik beschäftigen. Bezahlt wird das Ganze zu 50 Prozent mit EG-Fördermitteln, die andere Hälfte tragen die Stadt und die Stadtsparkasse Frankfurt, eine Dortmunder Beratungsfirma und die Industrie- und Handelskammer.

Die Beschäftigungsgesellschaft ihrerseits soll nach dem Motto „ABM für ABM“ gewissermaßen in Selbsthilfe, aber unter professioneller Regie organisiert werden. Die Stadt Frankfurt ist bereit, sich mit 25.000 Mark zu beteiligen. Das Werk mußte auf Weisung der Treuhand den versprochenen 50prozentigen Anteil am Stammkapital zurückziehen. Unklar ist, ob die Berliner Behörde wenigstens Gebäude und Räumlichkeiten herausrücken wird. Der Betriebsrat fahndet unterdessen nach weiteren Gesellschaftern. Erst sei, klagen die Personalvertreter, ihre Idee von allen Seiten als politische Schlagzeile gebraucht worden. Mit der Landesregierung in Potsdam war man sich über die „globale Sachlage“ einig, doch im Detail bleibt den Frankfurtern Rechtsbeistand, Beratung zur Finanzierung und Management versagt. 860 Kollegen aus dem HFO haben bereits die Aufnahme in die Arbeitsförderungsgesellschaft beantragt, die damit zur größten Firma in der Stadt werden könnte. Doch wenn die Gründung nicht zügig vollzogen wird, gehen die Betroffenen ins Nichts.