Perspektivenwechsel erlaubt

■ taz-Reihe: Die Sammler im Neuen Museum Weserburg (2) / Klaus Lafrenz, Hamburg

Einer der Sammlungsschwerpunkte im Neuen Museum Weserburg sind die Objekte des Hamburger Kunstsammlers Klaus Lafrenz. Seine Werke von Künstlern aus den USA, Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland verbindet nicht eine gemeinsame Kunstrichtung, sondern die „geistige Haltung“ der Künstler.

Frage:Wenn ein Privatsammler die Öffentlichkeit am Kunsterlebnis teilnehmen läßt, profitieren sowohl die Kunst wie der Künstler davon. Eröffnet sich auch dem Sammler eine neue Perspektive auf seine Werke in der Umgebung des Museums?

Lafrenz: Bevor der Sammler Teile seiner Sammlung an ein Museum gegeben hat, hat er in seinem häuslichen Rahmen zwar mit Nähe zur Kunst, doch mit allen Provisorien bezüglich der Präsentation der Kunst gelebt. Im Museum bekommt das Gesammelte eine neue Dimension, wird geordnet zur Sammlung, die auch gegenüber anderen Sammlungen bestehen muß. Der Sammler erstellt in dieser neuen Ordnung ein Gesamtkunstwerk aus einzelnen Kunstwerken. Er kann damit seinen schöpferischen Beitrag in der bildenden Kunst leisten.

Auch in Ihrer Sammlertätigkeit gibt es eine Entwicklung so wie beim Künstler.

In der ständigen Auseinandersetzung mit der Kunst bildet sich aus der Vielzahl der Kunstrichtungen ein Standpunkt heraus, der in seiner Qualität ständig zu überprüfen ist. Es ist durchaus möglich, daß sich dieser Standpunkt im Laufe der Zeit aufgrund erweiterter Seherfahrungen verschiebt, daß sich der Sammelschwerpunkt verlagert. Genauso muß ein guter Künstler in der Lage sein, sein Werk zu entwickeln.

Sind Sie inzwischen Experte geworden?

Nein. Die zeitgenössische Kunst ist so vielfältig, daß es viele richtige Ansatzpunkte zu sammeln gibt. Der eigene Standpunkt wird immer persönlich bleiben, das Urteil persönlich gefärbt sein. Jedes neue Kunstwerk muß ich mir neu erarbeiten. Der Weg dorthin kann allerdings aufgrund der wachsenden Erfahrung kürzer werden.

Die zahlreichen Stiftungen und Fördergesellschaften beweisen, daß der Ruf nach privater Kulturförderung Gehör gefunden hat. Könnte dadurch erneuten Kürzungen im ohnehin schon schmalen Kulturhaushalt Vorschub geleistet werden? Oder ein Konkurrenzverhalten zum Staat entstehen?

Der Staat hat die Aufgabe, viele kulturelle Bereiche zu fördern. Ein Kunstmuseum muß dem kunsthistorischen Anspruch genügen. Nur der Einzelsammler ist frei in seinen Entscheidungen. Er kann aber mit seiner Sammlung nur Akzente setzen und die universelle Aufgabe nie übernehmen.

Der Sammler muß auch Mut zum Risiko haben. Er weiß nicht, wie der Künstler oder die Kunstszene sich entwickelt.

Der Sammler hat den Vorteil, mit der Kunst leben zu können. Durch permanente Auseinandersetzung in allen Stimmungslagen wird ein gutes Kunstwerk zu einer Art Gesprächspartner, ein schlechtes dagegen wird schnell langweilig und verkommt zur Dekoration. Jedes neue Kunstwerk muß unabhängig vom Status des Künstlers oder des Marktes dem selbst entwickelten Standart gerecht werden. Ein gutes Kunstwerk bleibt unabhängig von der Entwicklung des Künstlers gut.

Entwickelt sich ein persönlicher Qualitätsbegriff?

Das ist richtig. Wie weit dieser absolut gültig ist, hängt aber auch vom Spektrum der Sammlung ab. In einer europäisch orientierten Sammlung werden weniger deutsche Künstler vertreten sein, als in einer deutschen Sammlung. In einer weltweit orientierten Sammlung weniger europäische Künstler als in einer europäischen. Durch wachsende Internationalisierung darf nicht die Zahl der Künstler beliebig erweitert werden, sondern ich muß versuchen, durch ständige Vergleiche höchstes Niveau zu erreichen.

Wird ein hohes Maß an Kenntnis vorausgesetzt?

Die Kenntnis ergibt sich aufgrund der Seherfahrung.

Oskar Wilde hat einmal gesagt, der Betrachter macht das Bild.

Der Betrachter baut mit seiner geistigen Leistung ein Verhältnis zum Bild auf und „macht“ für sich das Bild. Im Leben mit dem Bild entstehen Eindrücke, die je nach Gefühlslage des Betrachters unterschiedlich sind. Aus diesen Eindrücken im Dialog mit dem Bild bilden sich Parameter, die zu Maßstäben für die Bildbetrachtung werden. Zunehmende Seherfahrung festigt oder korrigiert diese Parameter. So baut der Betrachter sein Verhältnis zum Bild auf. Wichtig für die Qualität eines Bildes ist die Fähigkeit, diesen Dialog ausüben zu können, am Leben zu erhalten und ihn nicht zu einem Monolog des Betrachters werden zu lassen.

Ist für Sie der Dialog mit dem Kunstwerk wichtiger als der mit dem Künstler?

Ich habe ja nicht den „Künstler hier an der Wand hängen“, kann also nicht mit dem Künstler sprechen. Für den Künstler ist die Arbeit in dem Augenblick erledigt, in dem er sie abschließt. Häufig ist es ihm auch ziemlich egal, was dann mit ihm passiert. Er hat eigentlich den geistigen Dialog, den er mit dem Werk geführt hat, abgeschlossen und wendet sich etwas Neuem zu. Und ich muß jetzt rückwärts gehen, ich muß mir jetzt aus der Betrachtung einen Zugang zu dem Werk erschließen, der natürlich auch anders sein kann, der aber permanent spannend sein muß.

Fragen: Christine Breyhan