Gemächlich läßt es sich durch die Berliner Lüfte gondeln

■ Seit zehn Tagen schwebt ein dickes, silberfarbenes Ungetüm über Berlin/ Der Werbezeppelin der Vereinten Versicherung ruft Flugsehnsüchte wach

Berlin. Hören Sie seit Tagen auch diesen Krach eines Rasenmähers in der Luft? Und dann heben sie die Glupscher und sehen kein Gartengerät, dafür aber ein riesiges silberfarbenes Ungetüm mit grüner Schnauze? Richtig beobachtet, Sie haben ein echtes Luftschiff vor der Nase. Langsam, mit vierzig Stundenkilometern zieht der dicke Zeppelin der Vereinten Versicherung seit zehn Tagen seine Kreise, und wer ihm hinterherschaut träumt davon, wenigstens ein einziges Mal, hinter dem Piloten zu sitzen.

»Glück gehabt, heute fliegen wir«, begrüßt uns Zeppelin-Manager, Herr Säger, als wir auf dem Segelflugplatz Saarmund bei Potsdam eintreffen. Endlich hat der seit Tagen wirbelnde Wind etwas nachgelassen, und das Luftschiff darf wieder starten. Schon seit einer Woche häufen sich die Nachfragen von Journalisten und geladenen Gästen, mitfliegen zu dürfen. »Mehr als 15 Knoten Bodenwind dürfen nicht sein«, erklärt der Zeppelin-Chef. 15 Knoten entsprechen Windstärke vier.

Wie ein gestrandeter Walfisch dümpelt das mit Helium gefüllte Luftschiff in der Mitte der kargen Sand- und Wiesenpiste. Gleißende Hitze liegt an diesem Samstagnachmittag über der Einöde. In der Gondel schwitzt Ingo, der Elektriker der 20köpfigen Wartungsmannschaft. »Das Schiff muß rund um die Uhr bewacht werden«, erklärt er und prüft im Zehn-Minuten-Takt Gewicht, Heliumdruck und Temperatur des sechzig Meter langen Monstrums. Mit seinen zahlreichen Hebeln und dem hölzernen Steuerrad zwischen den Pilotensitzen erinnert das sogenannte Cockpit eher an die Armaturen einer Mini-Schiffsbrücke im PKW—Format. Inklusive zweier Piloten haben gerade mal acht Personen in der Gondel von der Größe eines Kleinbusses Platz. »Die Schiebetüren sind tatsächlich die gleichen wie beim VW-Bus«, erklärt Ingo, und auch die zwei 210-PS-Motoren an beiden Seiten der Kabine sind wie KFZ-Motoren konstruiert.

Endlich hat der Wind die ideale Geschwindigkeit. Die erste Gruppe darf fliegen. Mit lautem Hallo fahren die aufgeregten Gäste und die spiegelbebrillten Sunnyboys von der Wartungs-Crew in Kleinbussen zum Zeppelin. Der 64jährige Pilot Helmut Roos hat bereits Platz genommen und pafft genüßlich eine Zigarette nach der anderen. »Helium brennt nicht. Früher waren die Zeppeline mit Wasserstoff gefüllt und sind reihenweise in Flammen aufgegangen«, beruhigt ein Zeppelin- Techniker und tilgt auch die letzten »Hindenburg«-Traumata der Passagiere. Überhaupt sei so ein Luftschiff mittlerweile so sicher wie jedes andere Flugzeug und ein Absturz sogar so gut wie ausgeschlossen. »Beim Luftschiff besteht eher die Gefahr, daß es nicht mehr runter kommt«, erklärt Elektriker Ingo. Ist die Thermik ungünstig, kann es passieren, daß der Zeppelin sich plötzlich in 3.000 Meter Höhe wiederfindet. »Von da aus wieder runterzukommen, ist ziemlich schwierig.«

Die Passagiere sitzen in der Gondel. Ingo macht die Leinen los, an denen das Luftschiff am Boden befestigt ist. Jeweils acht Mann schnappen sich auf beiden Seiten ein Tau und ziehen mit vereinten Kräften den Zeppelin in Startposition. Helmut, der Pilot wirft die Motoren an. Langsam rollt das silberfarbene Fluggerät über den Flugplatz und ist im Nu in der Luft. Wir fliegen erst in der zweiten Gruppe, und müssen eine Stunde warten, bis das Luftschiff wieder vor Anker geht. Ich platze förmlich vor Ungeduld, und kann es kaum erwarten, endlich selber in den Himmel zu schweben. Alle fünf Minuten spähe ich an den Horizont, warte auf das Rasenmäher-Geräusch in der Luft und lese die Pressemappe zweimal von hinten bis vorne durch: 200 Kilo sei das Luftschiff schwer, bis zu hundert Kilometer schnell, und die 14 Lagen der Kunststoffhülle seien so stabil wie Metall, lese ich.

Schließlich ist der luftige Dampfer wieder in Sicht. Langsam schwebt die silberfarbene Zigarre über dem Flugplatz ein. Die 16 Jungs, die das Startmanöver begleitet haben, nehmen pfeilförmig Stellung und fangen den Zeppelin wieder ein. Der Passagierwechsel erfolgt peu à peu. »Wenn einer raus kommt, muß gleich ein anderer einsteigen, wegen des Gewichts«, erklärt Klaus, der Leiter der Crew. Wird der Zeppelin auch nur einmal zu leicht, hebt er sofort vom Boden ab und ist selbst von sechzehn kräftigen Luftschiff- Matrosen nur noch schwer zu halten.

Endlich sind wir in der Luft. Sanft, ganz langsam hebt sich der Zeppelin gen Himmel. Das Gefühl, zu schweben, ist einfach unglaublich. So muß sich Graf Zeppelin gefühlt haben, als er sich im Juli 1900 zum ersten Mal mit einem Luftschiff in die Höhe begab. Keine Geschwindigkeit, dafür aber ein grandioser Blick über Potsdam und Berlin lassen selbst die kühnsten Flugträume verblassen. Mit heruntergelassenen Fenstern lehnen wir uns aus der Gondel, entdecken Nachbarn, die mit ihrer Yacht auf dem Wannsee dümpeln, sagen dem Funkturm Hallo und entdecken die architektonischen Mißgeburten Berlins. Als wir über Steglitz schweben, versinkt gerade glutrot die Sonne hinter dem Horizont. »Über Berlin fliegen und sterben«, denke ich in die knatternden Motoren hinein. Vielleicht, weil ich weiß, daß es einen Absturz nicht geben kann. Christine Berger