Westliche Todesschützen

■ Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Polizisten, die auf DDR-Grenzer feuerten

Berlin. Die Berliner Staatsanwaltschaft prüft die Einleitung von Ermittlungen gegen westliche Schützen, die DDR-Grenzsoldaten erschossen haben. In einem ersten Fall aus dem Jahre 1962 ist bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Das berichtet der 'Spiegel‘ in seiner neuesten Ausgabe.

Von dem Verfahren sind West- Berliner Polizisten betroffen, die am 23.Mai 1962 beim Versuch, einen verletzten Flüchtling zu retten, geschossen hatten. Bei der Schießerei war der Gefreite Peter Göring (21) tödlich getroffen worden. Der Fluchtversuch eines 14jährigen Schülers durch den Spandauer Schiffahrtskanal habe damals den folgenschwersten Zwischenfall ausgelöst, den es je an der Grenze gegeben habe. Insgesamt zehn DDR- Grenzer hätten auf den Jugendlichen gefeuert. Von den West-Polizisten, die sich später auf das umstrittene Notwehrrecht gegenüber schießenden Grenzwächtern berufen hätten, sei beim Versuch der Bergung des Verletzten am Ufer des Kanals zurückgeschossen worden.

Die Dokumente entzaubern auch die Legende der 25 erschossenen Grenzsoldaten, deren Tod ehemalige DDR-Größen bis heute West- Provokateuren und Organen des »westlichen Imperialismus« anlasteten. Elf der 25 seien von fliehenden DDR-Wächtern erschossen oder erschlagen worden. Einer sei von einem sowjetischen Deserteur erschossen, mindestens drei seien von Republikflüchtigen getötet worden.

Auch in einem der beiden Fälle, in denen Schießereien mit westlichen Fluchthelfern zum Tod von DDR- Grenzern führten, vermittelten die östlichen Dossiers neue Einsichten. So ergeben sich Widersprüche zu den bisherigen Tatbeschreibungen bei einer Schießerei im Oktober 1964. Damals hatten DDR-Wächter einen Tunnelbau unter der Mauer entdeckt, durch den 57 DDR-Bürger in den Westen geflüchtet waren. Bei einem Schußwechsel mit einem Fluchthelfer war damals ein DDR- Unteroffizier erschossen worden.

Gegen den Fluchthelfer hatte ein West-Berliner Gericht lediglich einen Strafbefehl in Höhe von 250 Mark wegen unbefugten Waffenbesitzes verhängt. Der Mann erklärte nun, er habe in einer Notwehrsituation den ersten Schuß abgegeben und dann noch sechsmal geschossen, als die Gegenseite insgesamt »400 Schuß« abgegeben habe. Seines Erachtens sei der Unteroffizier versehentlich von den Kugeln seiner eigenen Leute getroffen worden. Die DDR-Dokumente lassen laut 'Spiegel‘ andere Schlüsse zu. So sei der erschossene Unteroffizier nicht von vorn getroffen worden. Seine Waffe sei zudem laut DDR-Rapport »durchgeladen«, der »Munitionsbestand vollständig« gewesen. adn/taz