Papierlawine kommt ins Rollen

■ Eine Woche noch können Bürger bei Niedersachsens Umweltministerin gegen das geplante Atommüllendlager Schacht Konrad ihre Bedenken geltend machen.

Papierlawine kommt ins Rollen Eine Woche noch können Bürger bei Niedersachsens Umweltministerin gegen das geplante Atommüllendlager Schacht Konrad ihre Bedenken geltend machen.

AUS SALZGITTER JÜRGEN VOGES

Kein Atommüll in Schacht Konrad. Unsere Kinder sollen lachen, nicht strahlen“, steht auf dem drei Meter hohen gelben Plakat mit dem Förderturm, das der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) genau im Blick von Monika Griefahn und Gerhard Glogowski, Niedersachsens Innenminister, aufgehängt hat. „Im Namen der VW-Belegschaft Salzgitter machen wir große Bedenken gegen das Atommüllendlager geltend“, sagt schließlich der Betriebsrat der „größten Firma der Region“, als er der niedersächsischen Umweltministerin die beiden Aktenordner mit 4.500 Einwendungen gegen das Endlager übergibt, die allein im Salzgitteraner VW-Motorenwerk gesammelt worden sind.

Bis zum kommenden Montag liegen die Planfeststellungsunterlagen für das erste reguläre Amtommüllendlager in der Europäischen Gemeinschaft noch öffentlich aus, können BürgerInnen ihre Bedenken noch bei Monika Griefahn einreichen. Auf die „Einwendungslawine“, die die Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad angekündigt hat, hofft auch die Umweltministerin. „Ich kann nur noch einmal betonen, daß die Einwendungen sehr wichtig sind“, mahnt Monika Griefahn auch die gut zweihundert ZuhörerInnen mittleren Alters hier im DGB-Haus, die keineswegs aus der Anti-AKW- Szene stammen, sondern eher dem Stammpublikum auf SPD-Parteiveranstaltungen gleichen.

Der Salgitteraner VW-Betriebsrat führt denn auch vor allem ein Arbeitsplatzargument gegen das Atommüllendlager ins Feld. Der Belegschaft des Motorenwerkes drohe durch Schacht Konrad nicht nur eine ständige Belastung durch Niedrigstrahlung. Vor allem gingen alle Transporte unmittelbar am Werk vorbei, sagt er. Bei einem Unfall müsse das Werk stillgelegt werden. „Bei uns werden die Motoren des gesamten VW-Konzerns gebaut“, ruft er, „daran hängen Hunderttausende von Arbeitsplätzen.“

Schon seit 1976 hängt über der Region Salzgitter die Drohung, daß die ausgediente Eisengrube „Konrad“ im Stadtteil Bleckenstedt dereinst mit Atommüll gefüllt wird. Zunächst sollte sie nur 250.000 Kubikmeter schwach- und mittelaktiven Müll aufnehmen. Doch seit auch die Bundesregierung den Platz für Atomabfälle im löchrigen Gorlebener Salzstock für knapp hält, ist in Konrad die Einlagerung von 95 Prozent des strahlenden Mülls geplant.

Kein Ansatzpunkt für Massenaktionen

Der Genehmigungsantrag des Bundesamtes für Strahlenschutz sieht heute die Einlagerung von 650.000 Kubikmetern Atommüll jedweder Strahlenintensität, auch hochaktiven Mülls vor, sofern dieser an der Außenseite der Einlagerungsbehälter nicht zuviel Wärme entwickelt.

Mehr als 100 Millionen D-Mark hat die Bundesregierung in den letzten 15 Jahren in das Endlagerprojekt investiert. Doch in dieser Zeit wurde zwar untersucht, gerechnet und vor allem viel Papier zu Konrad beschrieben. Doch auf dem Grubengelände selbst liefen in den ganzen Jahren nur die routinemäßigen Instandhaltungsarbeiten. Da hier in der dichtbesiedelten Industrieregion für das Atomprojekt kein Wald gerodet, nicht einmal ein Gelände neu eingezäunt werden mußte, gab es für den regionalen Zusammenschluß der „Konrad“-GegnerInnen, für die Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad, nie einen Ansatzpunkt für spektakuläre Massenaktionen, blieb der Protest gegen das wichtigste bundesdeutsche Endlager immer etwas im Schatten des Widerstands gegen die übrigen atomaren Großprojekte, wie etwa Wackersdorf und Gorleben.

Die Arbeitsgemeinschaft, die am kommenden Freitag gemeinsam mit dem DGB und dem Landvolk per Treckerkonvoi ihre Einwendungen im Umweltministerium in Hannover abgeben will, hat aus dieser Situation frühzeitig Konsequenzen gezogen. „Unsere Strategie war es, alle Organisationen und Gruppierungen, die sich gegen Atomkraft aussprechen, in eine verbindliche Arbeit gegen das Endlager einzubeziehen“, sagt etwa Peter Dickel, hauptamtlicher Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft. „Heute stehen 80 bis 85 Prozent der Bürger der Region hinter uns“, schätzt er. 45.000 Einwendungen hat bisher allein die AG Schacht Konrad selbst gesammelt. Bundesweit Unterschriften gegen das Endlager haben auch die Umweltschutzorganisationen wie etwa der BUND oder Greenpeace gesammelt. Allein bei Greenpeace in Hamburg liegen schon heute „an die 30.000 Einwendungen“.

Inzwischen forderte selbst die evangelische Landessynode Braunschweig „zur Bewahrung von Gottes Schöpfung den grundsätzlichen Verzicht auf eine Endlagerung radioaktiver Abfälle in Schacht Konrad“. Der DGB Salzgitter wurde von allen seinen Mitgliedsgewerkschaften, mit Ausnahme der IG Bergbau, nicht nur aufgefordert, Bedenken geltend zu machen, sondern im Falle einer Genehmigung des Endlagers sogar zu klagen. Selbständig Einwendungen erheben werden auch Kommunen wie die Stadt Braunschweig und Gemeinden wie Lengede, das CDU-regierte Vechelde und der Landkreis Peine. Selbst für die Stadt Salzgitter — die doch vom Bundesumweltminister zum Ausgleich für das Endlager nicht nur jährlich zwölf Millionen D-Mark, sondern auch den Sitz des Bundesamtes für Strahlenschutz erhalten hat — versicherte im DGB- Haus der Erste Bürgermeister, daß der Rat der Stadt am kommenden Donnerstag beschließen werde, nun ebenfalls Bedenken gegen das Endlager geltend zu machen.

Töpfer bringt „Unfrieden in diese Region“

Unabhängig von der AG Schacht Konrad sammelt schließlich auch noch die regionale SPD mit eigenen Ständen und Plakaten Unterschriften gegen das Endlager. Der Vorsitzende des SPD-Bezirks Braunschweig und niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski war es denn am Freitag im Salzgitteraner DGB-Haus auch, der mit lauter Stimme und energischen Worten Front machte gegen Bundesumweltminister Töpfer, der „Unfrieden in diese Region“ bringe. Die Kernenergie sei eine Energieerzeugungsform der Vergangenheit, sagte der Innenminister, und damit habe auch eine Region, die zum Endlager gemacht werde, keinen Frieden und keine Zukunft. „Der Bundesumweltminister versündigt sich an unserer Demokratie, weil er die Menschen hier zum Widerstand geradezu zwingt“, hörte man vom Landesinnenminister. Es sei einfach verrückt, ein Endlager in diese dicht besiedelte Region zu projektieren. Mit seinen Weisungen an die niedersächsische Landesregierung, so Glogowski, könne Töpfer die Menschen nicht für diesen Staat mobilisieren — nur gegen diesen Staat. Auch in Wackersdorf habe die Bundesregierung schon junge Menschen in eine sinnlose Auseinandersetzung mit der Polizei getrieben.

Hoffnungen darauf, daß seine Polizei bei Protesten gegen das Endlager mit Milde reagieren würde, wollte der Innenminister in Salzgitter sich allerdings nicht machen. „Wenn alle rechtstaatlichen Mittel gegen Schacht Konrad nicht mehr greifen, dann wird eingelagert“, sagte er. „Wenn wir alles verloren haben, dann ist die Einlagerung mit der niedersächsischen Polizei auch nicht mehr zu verhindern.“ Auch Umweltministerin Griefahn konnte da nur mit dem langen, langen Weg trösten, die die Einwendungen noch nehmen müssen. Zwei, drei Jahre werde es noch dauern, bis die Bedenken der BürgerInnen geprüft und öffentlich erörtert seien und es schließlich zu einem Planfestellungsbeschluß komme. Bis dahin, so hofft Monika Griefahn, „wird sich auch in Bonn einiges ändern. Die Bundesregierung wird irgendwann Einsicht zeigen, oder es wird eine andere Bundesregierung geben.“