Demoralisierendes aus Erkner

■ Provinzposse um das Gerhart-Hauptmann-Haus/ Finanzierung nur bis Ende 1991 gesichert/ Machtstreitereien zwischen Bürokraten und Fachleuten/ Anwohner wollen mehr Geld für Wohnungsbau

Erkner. Als im Jahre 1894 Die Weber des damals 30jährigen Gerhart Hauptmann in Berlin aufgeführt wurden, ließ Kaiser Wilhelm II. die Hofloge im Deutschen Theater kündigen. Die »demoralisierenden Tendenzen« des Stückes waren ihm unerträglich. Der 1912 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete Naturalist wohnte in der Zeit vor der Jahrhundertwende in Erkner bei Berlin: »Alle Gestalten der Komödie >Biberpelz< habe ich in Erkner kennengelernt.« Die Räume, in denen Hauptmann gelebt und gearbeitet hat, sind heute Museumsvilla, doch wie lange noch?

Nachdem der Besucher die Bibliothek mit ihren 7.000 Werken durchschritten hat, betritt er die persönlichen Arbeitsräume Hauptmanns. Der erste Blick fällt auf den Schreibtisch. Noch immer steht hier die Lampe, unter der das Stück Die Weber entstanden ist.

Den Beziehungen zu Erkner ist ein eigener Raum gewidmet. Ein Pastell des Wohnhauses »Villa Lassen«, eine Statue des Autors als Spaziergänger im märkischen Kiefernwald sowie Schriftstücke über Hauptmanns Leben und Werk dokumentieren die Jahre in Erkner. Welche Rolle er in der Weltliteratur spielt, zeigt die Sammlung von übersetzten Ausgaben in insgesamt 43 Sprachen; dazwischen liegt der Modellierblock, an dem sich der junge Künstler als Bildhauer versuchte, bevor er Schriftsteller wurde.

»Die Weber durften seit 1961 in der ehemaligen DDR nicht mehr aufgeführt werden. Im fünften Akt steht schließlich ein Proletarier zum Tischgebet auf. Das durfte doch damals nicht sein«, begründet Museumsdirektor Erdmann, dessen Arbeit dem Haus eine persönliche Prägung und internationales Ansehen verliehen hat. Mit einem guten Ruf allein läßt sich jedoch noch kein Museum finanzieren. Aus der Kulturförderung des Bundes erhält das Museum 116.000 Mark, womit dessen Existenz bis Ende 1991 gesichert wäre.

Ein Brief an den brandenburgischen Kulturminister Enderlein, mit der Bitte um Übernahme der Trägerschaft, blieb bisher unbeantwortet. Genau daran läßt sich erkennen, daß die regionalen Politiker und Kulturbehörden ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind. In den Augen einiger mürrischer Anwohner war die Villa bereits seit längerem ein Stein des Anstoßes. Umstritten war die — zugegeben vielleicht ein wenig übertriebene — finanzielle Unterstützung des Hauptmann-Hauses im Jubiläumsjahr 1987. Sie hätten dieses Kapital lieber in den örtlichen Wohnungsbau investiert.

Kabalen liegen in der Luft — eine Stimmung, in der ein engagierter Museumsdirektor leicht zum Störfaktor erklärt wird. Nach seinem Versuch, Öffentlichkeit für das Hauptmann-Haus zu schaffen, warfen ihm einige der alten und neuen Funktionäre Knüppel zwischen die Beine. Der Gemeindeversammlung sind die Gesamtkosten von 250.000 Mark jährlich zu hoch. Statt mit einem Dialog die Situation voranzutreiben, wird durch Machtstreitereien zwischen Bürokraten und Fachleuten jede Entscheidung blockiert. Wenn keine Trägerschaft beziehungsweise Finanzierungsmöglichkeit gefunden wird, kann die Villa feilgeboten werden. Die Originaldokumente, die von unschätzbarem Wert sind, würden aller Wahrscheinlichkeit nach in alle Welt zerstreut werden, und das Werk des bedeutendsten deutschen Naturalisten fiele der Unkenntlichmachung anheim. Susanne Berg/Gerd Fittkau