Tausenden trieft wieder mal die Nase

■ Die Heuschnupfen-Saison ist auf ihrem Höhepunkt/ In Ballungsgebieten erkranken mehr Menschen als auf dem Lande/ Die fatale Mischung: Blütenstaub mit Abgasen/ Warnung vor Cortison

Berlin. Es war unerträglich. Innerhalb von Sekunden verunstalteten riesige Schweißflecken mein neues Seidenhemd. Ständig glitt mir das Besteck aus den feuchtwarmen Händen. Doch das strenge Räuspern der Kellner in dem mexikanischen Lokal, in dem ich mich befand, galt nicht etwa mir, sondern meinem Gegenüber: Zwei Packungen Tempo- Taschentücher hatte mein Bekannter in der letzten halben Stunde vollgeschneuzt, die Wölbung seiner Hosentaschen zeigte den Verbleib der guten Stücke.

Mit triefendroten Augen schaute er mich immer wieder mitleidheischend an. Jeder Versuch meinerseits, doch noch ein Gespräch zustande zu bringen, scheiterte an einem erneuten Niesanfall. »Laß uns heute bitte bloß nicht draußen sitzen«, hatte mich mein Bekannter, das Taschentuch kurz lupfend, auf dem Weg hierhin angefleht. Er habe Heuschnupfen, erklärte er lapidar, als ob ich dann schon wisse, wie sehr er leide. Doch jeder Erklärungsversuch — »Hatschi!« — wäre ohnehin mit dem Taschentuch erstickt worden.

Auch wenn es weder meinen Bekannten noch irgendeinen anderen, der zur Zeit Heuschnupfen hat, tröstet: es leiden mal wieder Tausende von Menschen mit ihnen. Sie reagieren allergisch auf Baum-, Gräser- oder Kräuterpollen, die zwischen Februar und September nicht nur durch die Berliner Lüfte schwirren. Doch mittlerweile gilt es als erwiesen, daß prozentual mehr Menschen in Ballungsgebieten an Pollenallergien leiden als auf dem Lande. Verkehrsabgase, so fand eine Düsseldorfer Forschungsgruppe heraus, erhöhen das Risiko, eine Pollenallergie zu bekommen. Grund: Pollen verbinden sich mit diesen Schadstoffen und steigern die Allergieempfindlichkeit.

Während alle anderen Menschen stundenlang schwatzend in sommerlichen Cafés herumlungern, leiden Heuschnupfen-Opfer schiere Höllenqualen. Schon morgens sind die Augen dick zugeschwollen. Unentwegt läuft dünnflüssiges Zeug aus der Nase. Müde und abgeschlagen fragen sie sich, ob sie in diesem Sommer überhaupt noch mal das Haus verlassen sollen. Dabei hatte dieses Jahr so gut angefangen. Aufgrund des permanenten Regens kamen die allergieauslösenden Pollen nicht sehr weit. Seit einer Woche aber scheinen sie aufholen zu wollen. Wie der Polleninformationsdienst gestern mitteilte, herrscht zur Zeit eine starke allergene Belastung durch Gräserpollen.

Was die meisten Heuschnupfen- Opfer wissen, kann auch Jan-Dirk Kropp, Assistenzarzt in der Asthma- Poliklinik der FU, bestätigen: »Heuschnupfen ist eine richtige Krankheit.« Behandelt werden, so Kropp, könne der Heuschnupfen mit Augentropfen, Nasenspray oder Tabletten. Warnen muß Kropp vor der Behandlung mit Cortison. Viele Ärzte würden ihren Patienten eine Cortisonspritze verabreichen. Den Patienten ginge es zwar subjektiv besser, das körpereigene Hormon verursache jedoch erhebliche Nebenwirkungen. Meinem Bekannten ist das relativ egal. »Wenn es hart auf hart kommt«, sagt er und schnieft in das letzte Taschentuch seines Tempo-Superpacks, »dann greife ich auch hemmungslos zum Cortison-Spray.« maz