Hickhack um Autonome

Bündnis gegen Neonazis in Wunsiedel auseinandergebrochen  ■ VON ANTJE SCHWARZMEIER

Eigentlich ist Wunsiedel eine ganz normale Kleinstadt im Fichtelgebirge. Seitdem aber 1987 der Hitler- Stellvertreter und verurteilte Kriegsverbrecher Rudolf Heß dort beerdigt wurde, ist es einmal im Jahr um die Ruhe in der Landidyllle geschehen, die der große Dichter Jean Paul einst als „Wunsiedelei“ lobte. Zum Todestag, am 17. August, trifft sich in Wunsiedel die extreme Rechte, um ihren „Märtyrer“ mit einem Gedenkmarsch zu ehren.

Nachdem 1988 die „Rudolf-Heß- Gedenkkundgebung“ zum ersten Mal offiziell stattgefunden hatte, gründete sich der regionale überparteiliche „Arbeitskreis gegen alte und neue Nazis“. Mit der Forderung „Keine Naziaufmärsche in Wunsiedel und anderswo!“ meldete er in den vergangenen zwei Jahren die Gegendemonstration zur Heß-Wallfahrt an. Nun, nachdem es der AK geschafft hat, den größten Nazi-Aufmarsch der letzten Jahre auch überregional zum antifaschistischen Thema zu machen, ist es zur Spaltung des regionalen Bündnisses gekommen. Während der unter dem Namen „Antifa VoFiFra“ (Antifaschistische Initiative Vogtland-Fichtelgebirge- Frankenwald) auftretende Flügel wieder zur Gegendemonstration aufruft, haben sich unter anderen die Grünen, die Jusos und die DKP auf ein Kulturfest zurückgezogen.

Zu Uneinigkeiten im Arbeitskreis war es bereits nach der Gegendemonstration im letzten Jahr gekommen, nachdem die Geschehnisse am Heß-Todestag ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hatten. 1.300 Alt- und Neo-Nazis waren unter der Reichskriegsflagge, „Rudolf Heß — Märtyrer für Deutschland“ skandierend, durch Wunsiedel gezogen. Zur Gegendemonstration hatten sich etwa 3.500 Menschen eingefunden, von denen allerdings die wenigsten aufgrund der regionalen Mobilisierung des AK gekommen waren. Der Großteil der AntifaschistInnen kam aus dem autonomen Spektrum. Obwohl die Demonstration friedlich verlaufen war, kursierten in der Wunsiedler Bevölkerung die wildesten Geschichten über die „linken Chaoten“ aus Kreuzberg und aus der Hafenstraße. Angeblich hätten Autos gebrannt und wehrlose Bürger hätten vor Molotow-Cocktails flüchten müssen. Die WunsiedlerInnen vertraten überwiegen die Meinung, daß die Anhänger Rudolf Heß' ja eigentlich ganz friedlich und ordentlich durch die Stadt ziehen würden, und erst das Auftreten der GegendemonstrantInnen das Unheil über die Stadt gebracht hätte.

„Seitdem diese schwarzen Blocks aus Kreuzberg und aus der Hafenstraße nach Wunsiedel kommen, trauen sich meine Bürger an diesem Tag nicht mehr auf die Straße“, meinte der SPD-Bürgermeister Otto Rothe. CSU-Stadtrat Franz Rattler drückte es ähnlich aus: „Die Demonstration hätte eine ganz andere Wirkung auf die Bevölkerung gehabt, wenn nicht diese schwarzen Blocks gewesen wären.“

Diese schlechte Stimmung bekamen vor allem die im AK vereinten Antifas vor Ort zu spüren. Angriffe in Form von Leserbriefen in der lokalen Presse und persönliche Anfeindungen beim täglichen Einkauf waren an der Tagesordnung. Von einer politischen Akzeptanz des AK konnte kaum mehr die Rede sein. Nach einem Beschluß des Landratsamtes durfte sich der AK zum Beispiel nicht mehr im örtlichen Jugendzentrum treffen.

Interne Schwierigkeiten waren vorprogrammiert. Teile des AK konnten einige der autonomen Demo-Parolen, wie „Wir haben euch was mitgebracht: Haß! Haß! Haß!“, nicht akzeptieren oder hatten, wie der Juso Markus Hofmann, „Schwierigkeiten mit der psychischen und physischen Gewaltbereitschaft der Autonomen“.

Die Jusos und der Hausrat des Jugendzentrums kündigten schon damals an, daß für sie eine Beteiligung an einer Gegendemonstration im kommenden Jahr problematisch werden könne. Nur knapp konnte verhindert werden, daß sich einzelne Gruppen im nachhinein von der Gegendemonstration distanzierten. Beim Nachbereitungstreffen am 1.September 1990 einigte man sich auf den im Protokoll festgehaltenen Satz: „Zum Thema Autonome: Es besteht Einstimmigkeit darüber — keine Ausgrenzungen!“

Anfang 1991 begannen die Diskussionen über die Vorgehensweise für den 17. August dieses Jahres. Einige hatten Vorbehalte gegen eine Demonstration, es wurde nach Alternativen mit dem gleichen politischen Inhalt gesucht und spekuliert, wie eine Demo in diesem Jahr organisiert sein könnte. Es bildeten sich zwei Fronten heraus, von denen die eine für und die andere gegen eine Demonstration argumentierte. Über Monate endete jedes AK-Treffen mit einem anderen Beschluß.

Barbara Schmidt (Die Grünen) und Randolf Öchslein (DKP) haben die Argumente gegen eine Demonstration in einem Diskussionspapier zusammengefaßt: „Wir halten eine Demo in diesem Jahr und das, was sich möglicherweise im Anschluß daran in Wunsiedel abspielen wird, deshalb für politisch schädlich, weil sie das politische Klima eindeutig zu ungunsten des AK verändern wird. Antifaschistische Arbeit vor Ort, das heißt in Wunsiedel, wird komplizierter.“ Von den Jusos kamen die gleichen Argumente, die bereits Monate vorher das bereite Bündnis des AK zu sprengen drohten: man könne nicht gemeinsam mit gewaltbereiten Autonomen zu einer Demo aufrufen. Zweifellos ehrlich war Barbara Schmidt mit ihrem Satz: „Die Grünen haben Angst um ihre Wählerstimmen.“

Vergeblich waren die Bemühungen der Gegenseite, doch noch ein breites Bündnis auf regionaler Ebene zusammenzufassen. Ihrer Meinung nach ist eine Demonstration die beste Möglichkeit, AntifaschistInnen unterschiedlichster Organisationen und Zusammenhänge unter einen Hut zu bekommen. Der 17. August wäre nicht der geeignete Zeitpunkt, an dem Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung durch ein Kulturfest geleistet werden könne. Am Heß-Todestag wäre es wichtig, möglichst breiten Protest und Widerstand gegen den Neonazi-Aufmarsch zu zeigen. Die Antifa VoFiFra wirft den Aussteigern vor, sie würden in der Öffentlickeit ein Schwarz-weiß-Bild von „guten“ und „bösen“ AntifaschistInnen provozieren wollen. Hinter der Abgrenzung von vermeintlichen „linken Chaoten“ stünden einzig und allein kommunalpolitische Interessen.

Der Wunsiedler Antifa-Hickhack wäre nicht der Rede wert, wenn Wunsiedel nicht zu einem der bedeutendsten Orte für die extreme Rechte geworden wäre. Hier geht es nicht nur um Rudolf Heß. In Wunsiedel dürfen Alt- und Neonazis mit behördlicher Genehmigung öffentlich für den Wiederaufbau der NSDAP eintreten. Dessen sind sich die Rechten bewußt und stellen — zumindest einmal im Jahr — Geschlossenheit in ihren Reihen zur Schau.