DOKUMENTATION: Gewinner und Verlierer
■ Für Klaus Michael Meyer-Abich, Naturphilosoph und Mitglied der Klima-Enquetekommission, ist der Süden Verlierer des Treibhauseffekts
In der Debatte um den Treibhauseffekt müssen wir endlich zu einer Diskussion über mögliche Gewinner und Verlierer des Klimawandels kommen.
1.Die Einkommensverteilung zwischen Nord und Süd ist heute ungleicher denn je. In den vergangenen Jahren weisen nicht einmal die Kapitalströme in die richtige Richtung. Mindestens seit 1984 fließt jährlich mehr Geld aus den armen Ländern in die Reichen als umgekehrt — von 1984 bis 1988 140 Milliarden Dollar. Ursache ist die sogenannte Verschuldungskrise.
Verschuldung ist nichts per se Schlechtes. Wenn mit dem aufgenommenen Geld vernünftige Investitionen getätigt werden und Gewinne zu erwarten sind, sind Schulden kein Problem. Wenn aber Geld aufgenommen wird, um das Militär zu finanzieren oder als südlicher Großeinkäufer die Arbeitsplätze in den westlichen Industrieländern zu sichern, oder gar um die Reichen in den armen Ländern noch reicher zu machen, dann werden solche Schulden zum Problem. Die Verschuldungskrise hat die ungleiche Einkommensverteilung verschlechtert.
2.Das Entwicklungskonzept für die Länder der sogenannten Dritten Welt ist gescheitert. Die koloniale Ordnung, in der die Dritte Welt der Ersten zu Diensten stand, wurde in diesem Konzept nur ersetzt durch ein ökonomisches Rennen, bei dem die Entwicklungsländer per Definition hinter den Industrieländern zurücklagen: „Entwicklung“ hieß mehr Produktion und mehr Konsum. In diesem Rennen konnten die Länder der Dritten Welt auch nicht gewinnen. Zudem: Wenn das Aufholen der armen Länder in dem Rennen gelungen wäre, wären wir heute der globalen Katastrophe noch näher.
3.Die Beschreibung des Klimawandels ist keine Sache der Klimatologen allein. Genausowichtig ist, daß Biologen und Ökonomen den Klimawandel in ihrer Sprache beschreiben. Biologen beschreiben, wie sich die Lebensräume für Tiere verändern, wie sich die Bedingungen für die Landwirtschaft verschlechtern. Ökonomen beschreiben, wie der Tourismus wegen der Wetterverschlechterung ausbleibt und wie sich die Bauindustrie verändern muß, um auf andere Anforderungen im Wohnungsbau zu reagieren.
Zwar wissen wir heute immer noch nicht genau, welche Länder in welcher Form vom Treibhauseffekt betroffen sein werden. Aber wir wissen genug über die Risiken. Und Risiken sind ebenso faktische wie zu erwartende Schäden. Wenn man ein riskantes Vorhaben versichern will, liegt die Prämie eben wesentlich höher.
Schon heute steht fest, daß diese Risiken in größerem Umfang die Länder des Südens als die des Nordens treffen. Die südlichen Länder sind zudem ökologisch und ökonomisch wesentlich verletzbarer als wir im Norden. Ihre Landwirtschaft zum Beispiel arbeitet wesentlich häufiger im Grenzertragsbereich: Schon marginale Veränderungen bedeuten dann das Aus für die Nahrungsmittelproduktion.
Immer noch wird wesentlich weniger Geld für die Analyse der Risiken als für klimatologische Studien ausgegeben. Im vergangenen Herbst erschien allerdings die Studie des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Das IPCC nennt endlich einmal die betroffenen Länder beim Namen und vermittelt eine Idee von den drohenden Folgen des Treibhauseffekts. Wie belastbar die wissenschaftlichen Vorhersagen konkret sind, ist hier nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, daß die Studie unmißverständlich deutlich macht, daß es der Süden ist, der am meisten leiden wird.
4.Man kann zwischen relativen und absoluten Benachteiligungen des Südens unterscheiden. Relative Vor- oder Nachteile bedeuten, daß sich die Situation eines Landes im Vergleich zu anderen verbessert oder verschlechtert, während absolute Vorteile auf die langfristig absolut bessere Situation einer Seite hinweisen. Ökonomisch ist beides wichtig.
Langfristig könnte es insbesondere Japan, Rußland und Kanada absolut bessergehen. Sie werden im Norden wachsen, und dort werden sich ihre Möglichkeiten für wirtschaftliche Aktivitäten verbessern. Kurzfristig — für die nächsten 30 bis 50 Jahre — werden natürlich erhebliche Kosten z.B. für die Küstensicherung und die Bausanierung auf den Permafrostböden anfallen.
Ohne Zweifel sind die Industrieländer für die globalen Klimaveränderungen verantwortlich. Das heißt also: Die Verantwortlichen werden die Gewinner sein. Das gerade in der Umweltdiskussion viel bemühte Verursacherprinzip greift international nicht. Statt dessen hat der Klimawandel das Gesicht einer dritten Welle des Kolonialismus. Zuerst kamen die Soldaten, dann die Konzerne und die sogenannte internationale Wirtschaftsordnung und nun die Ökokolonisierung. Realistisch gesehen ist unter diesen Bedingungen die beste Entwicklungshilfe, die wir noch leisten können, dem Süden nicht weiter zu schaden.
5.Akteure einer solchen Politik der Schadensbegrenzung sind zunächst einmal die Nationalstaaten. Nach der herkömmlichen Rationalität, die nun immer unvernünftiger wird, werden die Nationalstaaten alles tun, um nichts zu tun. Und gerade die Staaten des Nordens profitieren ja auch noch vom Treibhauseffekt (s.o.). Diese Position zeigt sich vorbildlich in der Politik der amerikanischen Regierung.
In dem kürzlich vergrößerten Nationalstaat, in dem wir tagen, hat dagegen die sogenannte Klima- Enquetekommission des Bundestages vorgeschlagen, die CO2 Emissionen bis 2005 um 30 Prozent zu reduzieren. Nicht nur das Parlament, sondern auch die Regierung akzeptierte die Empfehlung. Die Kommission sagt zudem, daß diese 30 Prozent weniger CO2 mit, aber auch ohne Atomstrom erreichbar sind. Ich bevorzuge das zweite. Ein Entwicklungspfad ohne Atomstrom ist auch global angemessen, weil Solarenergie und Einsparungen nun wirklich intelligenter sind als das technologische Fossil Atomwirtschaft.
Daß Nationalstaaten politisch anders handeln, hat paradoxe Gründe: Es ist oft beklagt worden, daß die Politik kurzfristigen Zielen viel zuviel Gewicht beimißt. Generell ist das auch ein Problem der Umweltpolitik. Aber im speziellen Fall der Klimapolitik scheinen mir die kurzzeitigen Kosten geringer zu sein als die langfristigen Vorteile, die der Norden zu erwarten hat. Trotzdem wiegen diese kurzzeitigen Kosten möglicherweise politisch schwerer als die langfristigen Vorteile und haben damit politische Konsequenzen. Die eigentlich falsche Kosten-Nutzen-Abwägung führt zu einer aktiven Klimapolitik, obwohl der Treibhauseffekt im Norden möglicherweise langfristig Vorteile verspricht. Ein wirkliches Paradoxon.
Das gehört auch zur Politik. Die Ergebnisse von Fehlurteilen müssen nicht immer schlecht sein. In Deutschland scheint es an einigen Stellen geradezu ein Rennen darum zu geben, wer bei der CO2-Vermeidung vorn liegt. Auch an dieser Stelle können wir Verantwortung wahrnehmen. Die Länder der Dritten Welt werden nämlich unseren Paradigmen bis zu einem gewissen Grad auch weiter folgen. Damit sie nicht den falschen Paradigmen folgen, sollten wir unsere falschen Paradigmen möglichst schnell ändern.
Ganz offensichtlich ist unsere Energiepolitik nicht nur ein lokales Problem, sondern auch ein Problem mit globalen Folgen. Wir haben gesehen, daß noch Hoffnung bleibt, wenn auch eine etwas paradoxe.
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