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Ohne Grenzkontrollen dauert das Trampen länger

■ Meist sind es Autos der gehobenen Klasse, die anhalten und mitnehmen/ Eindrücke vom ehemaligen Grenzübergang Dreilinden

Wannsee. Der Asphalt dampft. An der Autobahnraststätte Dreilinden ist es um neun Uhr morgens schon drückend schwül. Ein Preßlufthammer und vorbeibrausender Verkehr sorgen für geräuschliche Untermalung. Trotzdem steht schon ein gutes Dutzend Tramper hinter der weißen Linie und hofft auf eine Gratis-Mitfahrgelegenheit.

Paul Sachse trampt mit seinen 13 Jahren zum ersten Mal. »Aufgeregt bin ich nicht«, meint der Schüler, aber er warte schon seit einer Stunde, und das sei nervig. »Am liebsten hätte ich es, wenn jetzt eine lange Luxuslimousine anhielte.« Er will mit Uta, einer Bekannten seiner Mutter, auf einer »internationalen Pilgrimage« für den Frieden zwei Wochen lang von Ilmenau im Thüringer Wald bis nach Dresden wandern. Uta selbst, mit federgeschmücktem Strohhut und gelben Shorts, stoppt schon seit den 60er Jahren. »Das ist eine ganz reelle Sache«, findet sie. Von Dreilinden käme sie immer gut weg, das habe sich die ganzen Jahre hindurch nicht geändert. »Auch nach der Grenzöffnung ist das so geblieben, die Leute, die jemanden mitnehmen wollen, kommen weiter hier vorbei und gucken.«

Entsprechend stehen immer noch jeden Nachmittag 50 bis 60, in Hauptstoßzeiten sogar bis zu 200 Leute an dieser Stelle. »Man steht auch nicht länger hier als früher, meistens so zwischen ein- und eineinhalb Stunden«, sagt Michael Fengler. Der Architektur-Student trampt seit vier Jahren regelmäßig nach Köln, um seine Eltern zu besuchen. »Die reine Fahrzeit dauert jetzt aber meistens länger. Es kümmert sich zwar niemand mehr um die Geschwindigkeitsbegrenzungen, dafür gibt es aber auch viel mehr Unfälle und Staus.« Einmal hat er satte zwölf Stunden gebraucht.

Vor dem Mauerfall, als Dreilinden noch ein Grenzübergang war, mußten die AutofahrerInnen zunächst lange anhalten, dafür aber ging es dann geradewegs gen Westdeutschland, was die Stelle für StopperInnen besonders beliebt machte. »Nach der Öffnung hat uns erst mal ein Bulle verscheucht, die haben das Trampen hier verboten«, erzählt Ralf Hündorf. »Mittlerweile dulden sie es aber wieder.«

»Verbieten können wir es nicht«, sagt Jürgen Pflügel von der Kriminalpolizeilichen Beratungsstelle. Allerdings warne die Kriminalpolizei eindringlich davor, per Autostop zu fahren oder TramperInnen mitzunehmen. Gerade auf kurzen Strecken und von ganz harmlos aussehenden Leuten drohten Raub, Vergewaltigungen oder sogar Mord. Die Behörde hat dazu eine Broschüre mit dem Titel Stop dem Autostop herausgegeben: »Sie setzen immer Ihr Leben aufs Spiel!« heißt es darin.

In brenzlige Situationen ist Jura- Studentin Silke Haarmann durchaus auch schon geraten. »Einmal wollte mir in Bremen ein Fischfahrer an die Wäsche. Dem hab ich dann erklärt, daß ich keineswegs nachts trampe, weil ich ein Abenteuer suche, sondern weil ich kein Geld habe. Das hat er auch akzeptiert.« Die angehende Erzieherin Helma Grommel sucht sich vorsichtshalber immer eine Frau, die in dieselbe Richtung fährt, wenn sie allein unterwegs ist.

Innerhalb von zwei Stunden ist die TramperInnenriege vollständig ausgetauscht. Erstaunlich viele Wagen der gehobenen Klasse haben angehalten. »Außer von Studenten bin ich oft von Geschäftsreisenden mitgenommen worden, denen die Strecke sonst zu lanweilig gewesen wäre«, sagt der Physikstudent André Zeug. Silke Haarmann ist eine Fahrt in einem nagelneuen Porsche in bleibender Erinnerung geblieben, »der war so neu, daß der Typ damit noch gar nicht schnell fahren durfte.« cor

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