: »Die kacken ja überall hin«
■ Erwachsene wider die »biologistische Rechthaberei« — Gespräche über die »Infantilisierung« von Eltern und über die Kinder als solche
Die »Kinderliebe« siegt auf der ganzen Linie. Beim alternativen Fußballturnier in Freiburg loste ein kleiner Max die Spielpaarungen aus, ein kleiner Junge im Dreck posiert jedes Jahr fürs Rockfestival in Roskilde. Und Normale (also Erwachsene), die endlich mal aufstehen, um zu sagen, daß Kinder doch manchmal auch nerven, werden ins gesellschaftliche Abseits gestellt. Dort herausgeholt hat sie für uns Detlef Kuhlbrodt
Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht — trotz Superferienpasses und anderen Vergünstigungen — von tausend benachteiligten Kindern die Rede wäre. Reden tun aber die Erwachsenen: Als sie kleine Jungs gewesen waren, sei ihnen ein Leid geschehen, beschweren sich z.B. Männer im Fernsehen im auswendig gelernten Soziologenjargon. Auf RTL posieren Kinder sexy als Schlagerstars; zur besten Sendezeit läuft Dingsda, denn nichts freut die guten Eltern so wie Kinder. Kinderbeauftragte vertreten »die Kinderinteressen im parlamentarischen Bereich fach- und parteiübergeifend«. Kinderbüros »sind sehr um Integrierung bemüht«, als handle es sich bei den kleinen Mitbürgern um eine besonders komplizierte Randgruppe. »Wir wollen Kinderfreunde in den Ämtern finden.« Überall ist man dabei »Verfahren zur Kinderfreundlichkeitsprüfung zu entwickeln.« ('Tagesspiegel‘) Und »die Brüder Fabrizio (8) und Flavio Feri (9) haben die erste Kinderpartei Italiens gegründet« ('BILD‘).
Mütter und Kinder füllen allwöchentlich ganze Seiten der 'Frankfurter Rundschau‘. Kinder, so lautet das Ergebnis einer Studie der Zeitschrift »Eltern«, haben am meisten Angst um die »Umwelt«. Am zweitmeisten Angst haben sie vor der sogenannten »Überflutung« der BRD durch Ausländer, Emigranten. Die sollen bleiben, wo sie herkamen, meinen die frechen Gören.
Doch nicht überall finden die Kleinen freundliche Aufnahme. Es gibt auch in unserer Stadt Menschen, die sich der verordneten Kinderliebe widersetzten und mit uns bereitwillig über ihre Vorbehalte sprachen:
Ingrid W.; Grafikerin, 32
Was denkst du über deine eigene Kindheit?
Da kann und will ich mich nicht dran erinnern. Ich lass' mir auch ungerne Geschichten darüber erzählen, wie es war. Da schneide ich solchen Personen immer das Wort ab. Ich hab auch keine besonders auffallende Kindheit gehabt. Das war eher normal. Im nachhinein tut's mir natürlich leid, weil ich vermutlich auch ein paar Leute genervt hatte, aber ich war eher ruhig. Hab nicht soviel rumgeschrien.
Was stört dich an Kindern?
Kinder kenne ich eigentlich nur aus der Distanz. Ich versuche auch immer Distanz zu ihnen zu halten. Aber das gelingt mir ja nicht immer, weil viele meiner Freundinnen und Freunde ja inzwischen Kinder haben. Ich kann ja nicht mit allen den Kontakt abbrechen, nur weil die Kinder haben. Und so bin ich eben auch oft in der Situation, mit Kindern zu tun zu haben. Da gibt es dann sehr viele Sachen, die mich furchtbar stören. Sicher gibt es auch Momente, wo die einfach in der Ecke sitzen, nichts tun, aber das ist ja eher die Ausnahme — der Normalfall ist, daß man sich mit den Eltern unterhalten will, und dazu kommt es nicht. Die Kinder sind einfach furchtbar besitz- und raumergreifend und haben mir inzwischen viele ehemals gute Freundinnen und Freunde geraubt.
Was empfindest du, wenn eine Freundin plötzlich ein Kind kriegt?
Ich verspüre so ein Gefühl von Trauer, weil ich denke, jetzt ist erst mal nichts mehr. Es ist aus. Es ist wie ein Abschied. Es ist ungefähr so, als würden Freunde nach Südamerika auswandern. Da kriegt man noch ab und zu eine Postkarte, aber der eigentliche Kontakt ist doch abgebrochen.
Es ist ja so, daß man doch ziemlich viele findet, die auch ihre Probleme mit Kindern haben. Diese zwangsverordnete Kinderliebe, die einem von überall entgegenspringt, ist ja keineswegs die landläufige Meinung. Ich kenne jedenfalls viele, mit denen ich mich im geheimen Kreis darüber auslasse, welche schockierenden Persönlichkeitsveränderungen wir zum Beispiel bei gemeinsamen Freunden und Bekannten festgestellt haben, nachdem sie Kinder bekommen haben. Jeder kennt diese furchtbaren Szenen, wo z.B. an den merkwürdigsten Orten Windeln gewechselt werden. Oder: Angenommen es geht einem selbst nicht sehr gut, man ist gereizt; dann kommen diese Kinder und nehmen nicht die geringste Rücksicht darauf. Es ist ja immer so, daß das Kind schreien darf, während ich vielleicht die fürchterlichsten Kopfschmerzen habe. Und trotzdem darf das Kind schreien, wie es will! Oft schreit ja nicht nur ein Kind, sondern viele Kinder schreien. Weder die Eltern noch die Kinder nehmen da Rücksicht auf mich oder andere Leute, die das vielleicht nicht als größtes Glück der Welt empfinden, wenn Kinder in diesen wahnsinnig hohen Frequenzen schreien und einem damit den Kopf zerhacken. Den Kopf zersägen.
Geheime Kreise? — Das klingt nach Verschwörung.
Ich kenn' da einige, vor allem Frauen, die sich doch mit sehr viel Bewußtsein gegen diese zwangsverordnete Mutterrolle wehren und die diese biologische Verpflichtung zur Reproduktion eher scheußlich finden. Diese ganzen furchtbaren Veränderungsprozesse, diese scheußlichen Geschichten vom Prozeß der Schwangerschaft und was es da alles für chemische Umwandlungen gibt. Das muß ja die reine Katastrophe sein. Und dann die mörderischen Geburtsqualen... Das finde ich widerlich. Alleine diese Vorstellung. Geburten sind die einzigen Szenen im Kino, wo ich nicht hingucke. Das einzige, was einen reizen könnte, ist das, was manche Schwangeren als Schwangerschaftsdroge bezeichnen. Das ist wohl eine ganz interessante Sache. Aber deswegen lohnt es sich wohl kaum, so eine Schwangerschaft in Kauf zu nehmen, und ich hoff' ja, daß irgendwann diese Schwangerschaftsdroge synthetisch hergestellt werden kann.
Unternimmst du etwas gegen Kinder?
Da sind einem ja weitgehend die Hände gebunden. Die Kinder sind ja meistens unter Aufsicht. Aber hin und wieder, wenn die Kinder ein bißchen älter sind, kann man ihnen ja ab und zu einen bösen Blick zuwerfen für all das Leid... Ich fühle mich ja z.B. so belästigt von Kindern, die mir manchmal ganze Nachmittage gründlich ruinieren und zerstören durch ihr Rollerfahren und Rollschuhfahren und Schreien und Brüllen, und selbst »Ohropax« und »Lärmstopp« hilft dann im Zweifelsfall auch nichts mehr. Da verlangt es einen dann manchmal zumindest zu kleinen Racheaktionen. Ich würd' jetzt nicht so weit gehen, die Kinder wirklich zu verletzen, aber für die Qualen, die sie mir zufügen, möchte ich sie manchmal auch ein bißchen ärgern.
Wie?
Man kann sie ja relativ leicht einschüchtern, auch wenn das früher leichter war als heute, wo sie zu einem völlig verqueren Selbstbewußtsein schon in jungen Jahren herangezogen werden. Man kann ab und zu etwas aus dem Fenster werfen. Nichts, was zu ernsthaften Verletzungen führen könnte, aber doch zu kleinen Irritationen. Vielleicht finden sie das auch aufregend und geheimnisvoll. Auf jeden Fall sind sie dann erst mal zehn Minuten ruhig.
Mit was wirfst du?
Das sag ich nicht.
Haben deine Ansichten nicht auch einen irrationalen Kern, den des allüberall doch herrschenden Ideals ewiger Jugend. Du bist ledig, hast keine Kinder, gehst in Kneipen, deren Publikum doch schon durchschnittlich vielleicht sechs Jahre jünger ist — weigerst du dich, erwachsen zu werden?
Das hat damit überhaupt nichts zu tun. Aber ich denke — in dieser Gesellschaft zu leben, hat natürlich eine ganze Menge Nachteile, aber man hat doch zumindest die Freiheit, so oder so zu leben. Alles geht den Bach runter. Die Natur ist doch zum Beispiel völlig kaputt, und von daher erscheint es mir eher merkwürdig, daß alle es so natürlich und selbstverständlich empfinden, wenn man spätestens ab 25 diesen Trieb verspürt, Kinder kriegen zu müssen. Eine Freundin von mir sagte wirklich, ihre Hormone würden ihr an der Schädeldecke hämmern... Vielleicht ist es auch eine normale ökologische Folgereaktion, daß eine ganze Menge Leute in unserer Gesellschaft überhaupt nichts mehr von diesem Trieb verspüren. Ich hab' noch nie diesen Wunsch nach einem kleinen Biest selbst verspürt. Obwohl ich mich auch darüber gewundert habe. Eher im Gegenteil. Diese belastenden Alpträume, daß man doch durch irgendwelche Unfälle schwanger wird und dann so ein Ding am Hals hat.
Was denkst du über Eltern?
Was mich natürlich furchtbar nervt, das ist deren völlige Infantilisierung. Diese totale Beschränkung von Wahrnehmung. Mich reizen und locken eben nicht diese »wahnsinnigen Empfindungen« am eigenen Körper und Rückerinnerungen an die eigene Kindheit. Und es gibt ja auch Studien, die beweisen, daß der IQ von Frauen vor der Schwangerschaft höher ist als nach der Schwangerschaft. Das kommt eben daher, daß sie sich die ganze Zeit mit Lego und Pampers beschäftigen müssen. Das ist eben nicht unbedingt so 'ne wahnsinnige intellektuelle Herausforderung. Das kommt nicht zwangsweise, doch in der Art, wie man bei uns Kinder hält, ist das eine ganz ernsthafte Gefahr. Und wenn es nicht Verblöden ist, dann gibt es so ganz andere Reaktionen bei Frauen, die einfach nachher so tun, als wäre alles so wie vorher. Als seien sie genauso interessant und interessiert und zusätzlich eben noch Mutter. Dieses Superfrauensyndrom. Bei denen merkt man auch, daß sie ständig unter einem ungeheuren Druck stehen.
Es gab in letzter Zeit sehr viele Meldungen über Väter, Onkels und sogar Mütter, die ihre Kinder sexuell mißbrauchten. Wie reagierst du auf solche Meldungen?
Das gibt es sicher. Doch im Moment hab ich den Eindruck, daß es ein Modethema ist. In den großen Zeitungen war es ja schon. Und jetzt sickert das allmählich in die kleinen. Woran ich aber grundsätzlich dabei zweifle, ist diese natürliche Unschuld des Kindes, die überall postuliert wird. Ich denke schon, daß Kinder manchmal schon auch vielleicht nicht genauso »schuldig« sind.
Vielleicht wäre meine Abneigung gegen Kinder auch nicht so ausgeprägt, wenn man die Kinder ein bißchen erwachsener behandeln würde. Ich schrei' ja auch nicht rum. Sobald ein Kind geboren wird, ist es eben auch ein Mitglied einer Gesellschaft und muß lernen, Rücksicht zu nehmen. So werden die Kinder zu echten Vampiren herangezogen, die geradezu ermuntert und angestachelt werden, sich vampiristisch am Blut ihrer Eltern festzusaugen.
Der Sexualforscher Ernst Bornemann sagt ja, daß das Kind als attraktiverer Partner der Mächtigere sei und seinem erwachsenen Gespielen auf der Nase herumtanzen könnte?
Ganz diese Meinung teile ich nicht. Ich denk' aber schon, daß sich viele kleine Kinder ihrer Macht wohl bewußt sind, es wird ihnen ja auch ständig suggeriert, sie seien so toll. Und man kann sich sicher auch in die Position nicht besonders gut aussehender älterer Menschen hineindenken. Umgedreht: Es gibt auch viele furchtbar häßliche Kinder, und ob die immer die erotischeren Partner sind — ich weiß nicht.
Ralf W.; Künstler, 29 und Christel D., 31
Ingrid W. steht mit ihren Ansichten nicht allein da. In einer Kreuzberger Kneipe pflichten ihr Ralf W., ein 29jähriger Künstler und Christel D., 31, bei. Für den einen sind Kinder wie Hunde: »Die kacken ja auch überall hin.« Entnervend sei vor allem die Aufdringlichkeit der »kleinen Mitbürger«: »Ständig fragen sie ‘warum?‚, ‘wieso?‚ und lassen dich auch nicht in Ruhe, wenn du ihnen signalisierst, daß du nichts von ihnen wissen willst.« Wie Hunde verfolgen einen die Kinder, meint er, »sie sind unvernünftig« und lassen einen nicht in Ruhe. Christel D. erzählt erbost von einem Foto, das sie vor kurzem in einer Zeitschrift gesehen hatte. Da sei ein Kaiserschnitt dargestellt gewesen, und ein kleines Händchen greift nach dem Arm des Chirurgen. Für das Bild, das, so die Buchhändlerin, wohl zeigen sollte, wie süß Kinder seien, findet sie nur ein Wort: »Widerlich!« Vor allem aber stört sie die »biologistische« Rechthaberei der Eltern: »Die tun so, als seien Schwangerschaften und Kinder die schönsten Erfahrungen der Welt und behandeln einen wie Idioten, wenn man ihnen nicht zustimmt. So in dem Ton: Wart du erst mal ab...«
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