Rücksichtsvolle Raser gegen Tempo 30

■ Juni brachte Raserrekord/ Radler und Verkehrsclub VCD führen Temporausch auf verkehrspolitisches Klima unter Schwarz-Rot zurück

Berlin. Jahresbestleistung: 28.OOO Geschwindigkeitssünder hat die Berliner Polizei im Monat Juni per Radar, Funkstopp oder Verfolgung ertappt. Davon müssen nach Auskunft der Polizei 100 Raser mit dem Entzug der Fahrerlaubnis rechnen. Die härtesten Fälle: Ein 25jähriger Hellersdorfer fuhr in einer Tempo-30- Zone ganze 108 Stundenkilometer schnell, ein 47jähriger Benz-Fahrer raste mit Tempo 100 durch eine Verkehrskontrolle und hätte dabei beinahe einen Polizisten überfahren. Insgesamt wurde bei 243.000 Fahrzeugen die Geschwindigkeit gemessen. Setzt man die Zahl der Ertappten mit der der Kontrollierten ins Verhältnis, ergibt sich im Vergleich zu den Frühjahrsmonaten eine deutliche Steigerung.

Vertreter des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) und des Verkehrsclub Deutschland (VCD) führen die ausgiebige Raserei auf das neue rückwärtsgerichtete verkehrspolitische Klima unter dem schwarz-roten Senat zurück. Insbesondere die beabsichtigte Aufhebung von 52 Tempo-30-Zonen durch Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) sei ein »falsches politisches Signal« sagte Florian Heckhausen vom VCD. Außerdem müßten Tempolimits in der Stadt stärker überprüft werden. Es sei erwiesen, daß eine schärfere Überprüfung zu »weniger Unfällen, Verletzten und Toten« führe. Dies sei in der Unfallhauptstadt Berlin mit 79 Verletzten pro 10.000 Einwohner und Jahr besonders wichtig. Heckhausen: »Das Geld für Radargeräte und Personal kommt locker wieder 'rein.«

Auch Radler-Lobbyist Axel Blomberg vom ADFC machte die Verkehrspolitik des Senats mit verantwortlich: »Die Raser haben politischen Rückenwind.« Auch er forderte mehr Kontrollen und empfindlichere Bestrafung: »Die Leute sollen blechen, bis die Benzinpreise keine Rolle mehr spielen.«

Der Berliner ADAC riet zu »angepaßter Geschwindigkeit«, rief zu »Vernunft und Partnerschaft« auf und sieht vor lauter »schwarzen Schafen« den Asphalt nicht mehr. »Ein Unding«, so ADAC-Sprecher Eberhard Lange.

Über die 28.000 Raser regte sich auch Frank Seidel vom Verein engagierter Verkehrsteilnehmer (VEV) auf, der mit seinen Proteststaus gegen Tempo 100 auf der Avus berühmt wurde. Seidel findet, daß der Begriff Raser zu undifferenziert verwendet wird: »Nicht alle, die schnell fahren, sind Raser.«

Es gehe nicht um die »absolute Geschwindigkeit«, sondern darum, ob »rücksichtslos und gefährdend« schnell gefahren werde. Wer mit 45 in einer Tempo-30-Zone geblitzt werde, sei kein Raser. Schlimm sei hingegen, wenn im Nebel 100 gefahren werde oder »jemand rechts sehr schnell überholt«. Solche Leute sollten ihren Führerschein verlieren, Schnellfahrer dürften aber nicht generell »kriminalisiert« werden, so der engagierte Kraftfahrer.

Viele Autobahnunfälle seien nicht »auf zu schnelles Fahren, sondern auf zu geringen Abstand zurückzuführen«. Seidel forderte die flächendeckende Aufhebung von Tempo 30 und die Revision der Tempolimits auf Avus und Ostautobahnen. Motto: Rücksichtsvoll rasen! kotte