Mailands Manager: Der Mezzogiorno ist an allem schuld

Italien macht gegen den Abstieg in die 2. Liga mobil/ Der Süden als Szenarium für künftige Machtkonstellationen/ Norditaliens Unternehmer alarmiert  ■ Aus Rom Werner Raith

Schlechte Nachrichten für das italienische Selbstverständnis kommen normalerweise nicht aus dem eigenen Land. Es sind meist ausländische Politiker, oder — noch schlimmer für das Image — reputierliche wissenschaftliche Institute, die dem Land negative Attribute verpassen. Da nörgelt mal Bundeskanzler Kohl über die Ausbreitung der Mafia aus dem Süden, mal bescheinigt der britische Verteidigungsminister Tom King den Italo-Kriegern am Golf, sie hätten eher symbolische als zerstörerische Arbeit geleistet; dann behaupten die Franzosen, sie rangierten wirtschaftlich vor den Italienern, und schließlich mäkelt Karl Otto Pöhl am italienischen Haushalt herum. Und am Ende streichen die internationalen Wirtschaftsinstitute „Standard and Poor's“ und „Moody's“ den Italienern den dritten Stern — das ist der Abstieg in die „zweite Liga“. Als Folge müssen italienische Großkreditnehmer höhere Zinsen zahlen.

Die üblichen Abwehrstrategien italienischer Politiker und Wirtschaftsführer funktionieren inzwischen nicht mehr: Das staatliche Wirtschaftsforschungsinstitut „Centro studi ed investimenti sociali“ (CENSIS) hat einen Bericht vorgelegt, den sie nicht mit ideologischen Floskeln abtun können. Der Bericht geht schonungslos mit dem Land und seinen Wirtschafts- und Gesellschaftslenkern um. CENSIS hat Europa in verschiedene Haupt- und Unterzonen eingeteilt und ökonomische, soziale sowie demoskopische Daten nebeneinandergestellt. Da mußten die Italiener erkennen, daß ihr Land im Europa-Test auf einen mickrigen Mittelplatz zurückgefallen ist — bis zum Frühjahr hatten die Politiker behauptet, man stehe unmittelbar hinter Deutschland. Die Mächtigen haben zwar nicht die Gründe, wohl aber die Schuldigen für den Klecks auf dem nationalen Hemd gefunden: Es sind die Menschen aus dem unteren Teil des Stiefels, dem „Mezzogiorno“. Das heißt Mittag und zeigt die geographische Richtung an, wo die Faulpelze und Bremser sitzen sollen.

Tatsächlich ergibt die CENSIS- Erhebung, daß hier ein Großteil der Regionen liegt, die bei einer Dreiteilung Europas nach sozial und wirtschaftlich starken (Deutschland und England), mittleren (Frankreich und Oberitalien) und schwachen Zonen in die untere Kategorie fallen. Das Bruttosozialprodukt der Gebiete südlich von Neapel liegt um gut 20 Prozent unter dem nationalen Durchschnitt, die Arbeitslosigkeit um ein Drittel höher. Jedes Jahr wandern 15 bis 20 Prozent der Facharbeiter und Führungskräfte ab.

Doch gerade die Politik der Wirtschaftsbosse aus dem Norden und dem römischen Zentrum hat diese Lage nicht nur geschaffen, sondern auch um jeden Preis aufrechterhalten. Holte man sich in den 50er und 60er Jahren die billigen Arbeitskräfte aus dem Süden, so machte die einsetzende Aufmerksamkeit aufs Nord-Süd-Gefälle und die nachfließenden Entwicklungsgelder in den 70er Jahren auf den europäischen Topf Appetit: Die Industrie setzte Betriebe in die unterentwickelten Gegenden — und schloß sie wieder, sobald die staatlichen Hilfsfonds aufgebraucht waren. Der versprochene „Sog“ durch die Neubauten blieb aus: Man hatte sie ohne jedwede Rücksicht auf die lokalen Strukturen und die Mentalität einfach dort hingesetzt, wo billiger Grund zu haben war. Auch die Mitte der 80er Jahr eingeleiteten Anstrengungen der italienischen Politiker zur Sanierung des Südens waren reine Schaufensterübungen: Zwar werden nun vorwiegend Kooperativen und Zweckverbände bedacht, was angeblich bereits zu 16.000 neuen Arbeitsplätzen geführt hat, doch gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit wieder gestiegen: Die Kleinbauern, die sich nicht in Kollektiven organisieren können, weil sie in Bergdörfern leben oder maschinenuntaugliche Äcker besitzen, gehen an der Konkurrenz durch die Kooperativen zugrunde.

Die Folge ist einerseits eine neue Abwanderungswelle, andererseits aber auch eine massive Zunahme der Kriminalität. Viele Bauern und Hirten stellen sich als Aufseher für Drogen- und Waffendepots mächtiger Clans in den Bergen zur Verfügung oder nehmen an nächtlichen Überfällen in kleinen und mittleren Städten zwecks Schutzgelderpressung teil.

Die immer stärkere Dominanz des kriminellen Untergrunds hat Sizilien und Kalabrien nicht nur der staatlichen Kontrolle entzogen, sondern auch illegale Reichtümer entstehen lassen, die nach Re-Investition rufen. Sie haben bereits eine Größenordnung erreicht, die nicht mehr vor Ort angelegt werden kann. Aktien und Obligationen in Höhe von umgerechnet mehreren hundert Milliarden Mark halten die mit internationalen Syndikaten zusammenarbeitenden Clans bereits in ihren Händen. Über von ihnen geförderte Politiker suchen sie Eingang in die Welt der honorigen Unternehmer und Lenker der Gesellschaft. Die Vermengung von Politik, Notablen und Kriminellen hat bereits zu einem Amalgam geführt, bei dem niemand mehr weiß, wer der Politiker, der Gangster oder der Notable ist.

Das hat die Großunternehmer des Nordens auf den Plan gerufen, und ihnen hören mittlerweile auch die Politiker zu. Agnelli (Fiat), De Benedetti (Olivetti) und die Landwirtschaftsfamilie Ferruzzi haben angekündigt, daß sie die „Herausforderung“ der Piraten aus dem Süden annehmen wollen — auf deren eigenem Terrain, im Mezzogiorno. Dort sollen große Fabriken entstehen, die von ortskundigen und im Norden ausgebildeten Führungskräften der Konzerne geleitet werden sollen.

Die Unternehmer des Nordens sehen durch die Aktienkäufe der Bosse und deren Druck auf die Regierung aufgrund ihres Besitzes von Staatsschuldscheinen zum ersten Mal ihre Autonomie und langfristig auch ihre Existenz gefährdet. Agnelli macht im engeren Kreise aus seiner Besorgnis keinen Hehl: „Den Kampf im und um den Süden müssen wir gewinnen — das wird die Bühne für die Auseinandersetzung um die künftige Stellung Italiens in Europa und in der Welt.“