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: Die Fremden sollen verfügbar bleiben

■ Frankreich will Sondermaschinen zum Abschieben chartern

Europa übt sich im harmonischen Gesang. Während bei den Fragen der politischen Union und einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bislang nur ein vielstimmiges Krächzen zu vernehmen ist, kommt in der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik mittlerweile ganz problemlos ein gut abgestimmter Kanon zustande. Nachdem in Deutschland der Abschiebeschutz für ein paar zehntausend De-facto-Flüchtlinge aufgehoben wurde, verkündete letzte Woche Großbritanniens Innenminister Kenneth Baker eine verschärfte Asylpolitik, und nun ist Frankreichs Ministerpräsidentin Edith Cresson mit ihrer Strophe an der Reihe. Die illegalen Einwanderer und die abgelehnten Asylsuchenden sollen abgeschoben werden, in gecharterten Flugzeugen, damit's auch schnell geht.

Nun mag Edith Cresson weniger an die europäische Asylpolitik als an die innenpolitischen Bedürfnisse gedacht haben. Es ist noch keine zwei Wochen her, als sie Jacques Chirac in die Nähe von Jean-Marie Le Pen rückte, weil ersterer all jene Franzosen bedauert hatte, die mit Ausländern, ihrem Lärm und Geruch auf einem Flur wohnen müssen. Und es ist noch keine vier Wochen her, da beschloß ihr Kabinett, endlich etwas Geld für die unruhige Immigrantenjugend in den Vorstädten lockerzumachen und sie in den Ferien aufs Land zu schicken. Damit war die sozialpädagogisch orientierte Parteiklientel bedient, jetzt gilt es, diejenigen zufriedenzustellen, die sich von Chirac bedauert fühlten — und das sind auch bei Frankreichs sozialistischen Wählern nicht so wenige.

Es bleibt abzuwarten, ob Cresson ihre Drohung wahrmacht und Tausende von Flüchtlingen in Sondermaschinen abschiebt — was öffentlichkeitswirksam wäre, aber auch eine Menge Unruhe provozieren dürfte. Zweifellos will Paris sich wie auch Bonn die Option schaffen, vor Inkrafttreten des Schengener Abkommens möglichst viele Flüchtlinge loszuwerden. Denn was dieses Abkommen „harmonisiert“, sind einzig und allein die Maßnahmen, um Flüchtlinge von den Außengrenzen der Mitgliedstaaten abzuhalten. Für die wenigen, die dann noch durchkommen, ist der Staat zuständig, der sie hat einreisen lassen: Kein Wunder, daß die europäischen Staaten jetzt schon in einen Negativwettbewerb um die niedrigsten Flüchtlingszahlen eingetreten sind.

Dabei ist es offensichtlich weniger die Angst vor den Fremden, die diese Politik so populär macht, als vielmehr die Angst vor dem Verlust der Verfügbarkeit über sie. Denn als Saisonarbeiter, wie das Beispiel polnischer und tschechoslowakischer Arbeiter in der BRD zeigt, sind sie durchaus willkommen. Die verschärfte Abschiebepolitik, ob in Paris, Bonn oder London, ist letztlich auch eine Demonstration der Macht — daß die Fremden — mögen es illegale Einwanderer oder Flüchtlinge sein — verfügbar sind. Andrea Böhm