„Gott wird Massentöten beenden“

Sachsen: Lebensschützer machen sich in Schwangerenberatung breit/ Bonn soll Beratungsstelle der fundamentalistischen „Kaleb“ finanzieren/ 49 von 69 Stellen in konfessioneller Trägerschaft  ■ Von Helga Lukoschat

Letzten Sommer — es ging um die Regelung der Abtreibungsfrage im Einigungsvertrag — versuchte „Kaleb“, mit einem „Hungerstreik für das Leben“ auf sich aufmerksam zu machen. Vier Tage lang fasteten die Mitglieder der neu gegründeten DDR-Lebensschutzorganisation demonstrativ vor der Volkskammer und nährten sich tapfer von Mutter- Teresa-Bildchen und Hochglanzbroschüren des Bundesfamilienministeriums. Doch bei solch tragikomischen Auftritten ist es nicht geblieben. Kaleb („Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren“), die nach eigenen Angaben 700 Mitglieder zählt und „aus der Kirchenarbeit hervorgegangen“ ist, hat nun auch Aussichten, ganz offiziell und mit Bonner Geldern in der Schwangerschaftskonfliktberatung Fuß zu fassen. Denn beim Bundesfamilienministerium in Bonn liegt zur Zeit ein Antrag vor, den radikalen Lebensschützerinnen eine Beratungsstelle im sächsichen Chemnitz zu genehmigen. In drei bis vier Wochen soll darüber entschieden werden.

Im Einigungsvertrag war der Ausbau eines flächendeckenden Netzes von Beratungsstellen für die neuen Bundesländer vereinbart worden — analog zu den bundesdeutschen Einrichtungen im Rahmen des Paragraphen 218. Obwohl in den neuen Ländern noch bis Ende 92 die Fristenregelung gilt, wurde in den entsprechenden Richtlinien des Bundesfamilienministeriums als Beratungsziel der „Schutz des vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen“ festgelegt. Immerhin sollten dabei „verschiedene Träger“ berücksichtigt werden. Doch davon war bisher bisher nicht viel zu merken. Offenbar tut sich das Familienministerium unter der konservativen CDU-Politikerin Hannelore Rönsch ausgesprochen schwer mit der Pluralität. Bis zum Frühjahr '91 waren von Bonn, das die Finanzierung der Einrichtungen übernimmt, von 69 neuen Beratungsstellen allein 49 an konfessionelle Träger vergeben worden. Pro Familia, das im Westen 120 Einrichtungen betreibt, ging bei dieser ersten Runde leer aus. Erst nach mühseligem bürokratischen Hickhack und nicht zuletzt nach öffentlichen Protesten konnte Pro Familia vor kurzem in Leipzig eine Beratungsstelle eröffnen, eine weitere in Chemnitz ist inzwischen bewilligt. Dem Diakonischen Werk und der katholischen Caritas wurden in Sachsen jedoch bereits 19 Stellen genehmigt, ein Großteil davon konnte die Arbeit bereits aufnehmen.

Im Vergleich zu Kaleb sind diese Träger jedoch noch ein Vorbild an Ausgewogenheit. Barbara Ritter von der bundesweiten Koordination „Frauen gegen den Paragraphen 218“, die eine Veröffentlichung über die organisierten LebensschützerInnen in Ost und West vorbereitet, schätzt die Kaleb-Leute als fundamentalistische „Evangelikale“ ein. Kaleb sammelte letztes Jahr 40.000 Unterschriften gegen die Fristenregelung. In einem offenen Brief an das DDR-Familienministerium hatten die LebensschützerInnen behauptet: „Gott selbst wird das Massentöten seiner Schöpfung beenden, weil er die Massenvernichtung der Juden unter der Naziherrschaft und die SED-Regierung beendete.“ Vorstandsfrau Gisela Köhler gehört zugleich der „Christlichen Mitte“ an, einem Verein mit verquastem, reaktionärem Weltbild, in dem gleichzeitig gegen Abtreibungen, Homosexualität und das „Konkubinat“ zu Felde gezogen wird. Bei der „Fastenaktion vor der Volkskammer“ war Kaleb zudem von der West-Organisation „Alfa“ (Aktion Lebensrecht für Alle) unterstützt worden.

Diese offensichtliche ideologische Schlagseite wird im Hause Rönsch jedoch heruntergespielt. Kaleb, so heißt es, werde nach den gleichen Kriterien wie alle anderen Träger beurteilt und bekomme nur dann eine Genehmigung, wenn die formalen Voraussetzungen — z.B. qualifiziertes Personal — erfüllt seien. Eine einseitige Beratung will das Familienministerium schon dadurch ausgeschlossen sehen, daß Kaleb die Beratungsrichtlinien inhaltlich anerkennen müsse. Eben diese Richtlinien hatten aber bei der SPD, Frauengruppen und Gleichstellungsbeauftragten wegen ihrer Ausrichtung auf den „Schutz des ungeborenen Lebens“ Anstoß erregt — es dürfte für die Lebensschutzorganisation kein Problem sein, sich, wie in Bonn gefordert, dazu zu „bekennen“.

Doch nicht nur Kaleb, die ummittelbar nach der Wende im Januar 1990 in Leipzig gegründet wurde, konnte sich in Sachsen breitmachen. Einfluß hat sich auch der neu gegründete sächsische Landesverband der „Christdemokraten für das Leben“ (CDL) gesichert. Die CDL hatten sich 1985 als innerparteiliche Pressure-group zur Verschärfung des Paragraphen 218 etabliert, im Bundestag sind sie mittlerweile mit 20 Abgeordneten präsent. Der sächsische Landesverband entstand vor einem Jahr und ist nach eigenen Aussagen inzwischen an Schwangerenberatungsstellen in Dresden, Radebeul und einer kleineren Einrichtung in Stolpe beteiligt, die nach CDL-Aussage in kommunaler Trägerschaft sind. Die Unions-Lebensschützer sind dort auf vielfältige Weise aktiv. So sammeln und verteilen sie Sach- und Geldspenden, kümmern sich um die „Kleiderkammer“ und Baby- Erstausstattungen, vermitteln „Familienpatenschaften“ und sorgen für Rechtsberatung. Aber es geht nicht nur um finanzielle Hilfen. „Wir machen auch Schwangerschaftskonfliktberatung“, so der rührige Landesvorsitzende Siegfried Hummel freimütig. Der CDL-Mann arbeitet als Gynäkologe am Diakonissenkrankenhaus in Dresden. Dort werden Abtreibungen nur nach der medizinischen und eugenischen Indikation vorgenommen. Hummel will die Frauen zwar nicht wegen einer Abtreibung bestrafen, aber unter allen Umständen verhindern, daß „in Deutschland eine Abtreibungsindustrie wie in den USA“ entsteht. Die Fristenregelung bekämpft der Frauenarzt mit dem Argument „Wehret den Anfängen“: „Sonst werden womöglich noch Abtreibungen im neunten Monat erlaubt.“

Bei all ihren Aktivitäten können die Lebensschutzgruppierungen zudem auf politische Unterstützung rechnen. So ist die für Frauenpolitik zuständige Gleichstellungsbeauftragte der sächsischen Landesregierung, Friederike de Haas, gleichfalls Mitglied bei den CDL. Für den sächsischen Landesvorsitzenden Hummel ein Grund zur Freude: „Das erleichtert vieles.“