650.000 Brennelemente strahlen weiter im THTR

Zwei Jahre nach der Stillegung des Hochtemperaturreaktors in Hamm ist der „sichere Einschluß“ immer noch ungewiß  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Vor knapp zwei Jahren, nach wochenlangem Verhandlungspoker zwischen den Betreibern des Hochtemperaturreaktors (THTR) in Hamm und den Regierungen in Bonn und Düsseldorf, schien alles ganz einfach. Der am 6. September 1989 in Kraft getretene Rahmenvertrag schrieb die Stillegung des einstigen Lieblingsreaktors der nordrhein- westfälischen Sozialdemokraten ohne jede Einschränkung fest. Dem sogenannten Stillstandsbetrieb sollte zunächst die Entladung des Reaktorkerns — also die Entsorgung der hochradioaktiven Brennelemente — folgen. Danach stand der „sichere Einschluß“ auf dem Programm, gefolgt von einer etwa 30jährigen Abklingphase, die mit dem endgültigen Abriß der Reaktorruine beendet werden sollte. Ein schöner Plan, nur mit der Planerfüllung, da hapert es.

Bis heute hat noch keines der rund 650.000 kugelförmigen Brennelemente den Reaktorkern verlassen. Statt eines sicheren Einschlusses steht nach wie vor der sogenannte „Stillstandsbetrieb“ auf der Tagesordnung. 1989 war eine kontinuierliche Entleerung des Kerns geplant, und der sichere Einschluß für den 31. Dezember 1992 terminiert. Das sagt heute Dr. Rüdiger Bäumer, Chef des Hammer Kraftwerkkomplexes. Dabei gingen die Betreiber davon aus, daß für die Entladung des Kerns selbst kein neues Genehmigungsverfahren erforderlich sein würde. Eine kühne Annahme. Bei der Genehmigungsbehörde im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium waren sich die Juristen jedoch schnell einig, daß vor dem Beginn des Entladungsprozesses bei dem Prototyp THTR eine atomrechtliche Genehmigung zu stehen habe. Das Ende dieses Verfahrens steht in den Sternen. Derzeit sind sich die Parteien noch nicht einmal darüber einig, ob die Antragsunterlagen in Düssldorf vollständig vorliegen. Das Düsseldorfer Wirtschaftsministerium spricht nur von „nahezu vollständigen Antragsunterlagen“. Die Betreiber gehen jetzt davon aus, daß sich der sichere Einschluß „um elf Monate auf November 1993 verschieben wird“.

So ungewiß der Entladungsbeginn heute auch noch scheint, wohin die hochradioaktiven Kugeln gehen sollen, das weiß die Düsseldorfer Landesregierung schon ganz genau. Geht es nach ihrem Willen, dann landet das giftige Zeug im Zwischenlager in Ahaus. Da gehören die Kugeln aber nicht hin. Und die Sozialdemokraten haben auch auf mehreren Parteitagen beschlossen, daß „eine Betriebsgenehmigung für das Brennelementezwischenlager in Ahaus nur erteilt werden kann, wenn die Eignung des vorgesehenen Endlagers nachgewiesen ist“, aber der „Sachzwang“ war wieder einmal stärker. Weil ein Endlager nirgends in Sicht ist, wurde das beschlossene Junktim kurzerhand fallen gelassen. Der Düsseldorfer Wirtschaftsminister Günther Einert sah sich trotz fehlenden Endlagers „einfach gezwungen“ die leerstehende Anlage in Ahaus für „die Zwischenlagerung der Brennelemente aus Hamm zu nutzen“. Die einzige Alternative zur Zwischenlagerung bestehe in dem sogenannten „Stillstandsbetrieb“. Das, so der Minister schon im September 1990, sei jedoch eine „außerordentlich schwierige“ Alternative, denn ein solcher Betrieb erlaube „ja grundsätzlich jederzeit das Wiederanfahren“ des Reaktors in Hamm. Das aber wolle er nicht, denn ihm gehe es darum, „bis Ende '91, Anfang '92“ den „sicheren Einschluß von Hamm-Uentrop zu betreiben.“

Heute, zehn Monate nach dieser Aussage, steht indes fest, daß der von Einert angesprochene Zeitrahmen auch nicht im entferntesten eingehalten werden kann. Bisher liegt nicht einmal eine Genehmigung zur Einlagerung der Hammer Kugeln in das Brennelementezwischenlager in Ahaus vor. Im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium rechnet man „täglich“ mit einer Entscheidung der zuständigen Bundesanstalt für Strahlenschutz in Salzgitter. Nach Auskunft des dortigen Sprechers, Dr. Collin, ist die technische Überprüfung inzwischen abgeschlossen. Gegen eine Zwischenlagerung des Hammer Atomschrotts in Ahaus bestünden von der technischen Seite her „überhaupt keine Bedenken“. Zur Zeit gehe es nur noch um die „administrativen Voraussetzungen“. Das letzte Wort über die Einlagerung der Hammer Brennelemente werden wohl die Gerichte sprechen. Die örtlichen Bürgerinitiativen wollen gegen eine eventuelle Genehmigung in jedem Fall klagen. Mit dem Atommüll aus Hamm würde, so der BI- Sprecher Hartmut Liebermann, „aus dem Zwischenlager de facto ein Endlager“. Prinzipiell besteht für die Ahausener Anti-AKW-AktivistInnen „nicht die Notwendigkeit, die Kugeln nach Ahaus zu verbringen“. Man könne das Zeug auch „direkt in Hamm lassen, nur das ist denen zu teuer“. Für „große Eile“, so Liebermann, bestehe im übrigen „überhaupt kein Bedarf“. Die nordrhein- westfälische „Landeskonferenz gegen Atomanlagen“ sieht in der Lagerung in Ahaus „ein Täuschungsmanöver, mit dem gleichzeitig die Akzeptanz für den weiteren Betrieb von Atomkraftwerken gesichert werden soll“. Man will sich erst in die Entsorgungsdiskussion „konstruktiv einbringen, wenn kein neuer Atommüll mehr produziert wird, das heißt erst nach der endgültigen Stillegung aller Atomanlagen“. Harald Haun von der Anti-AKW-Initiative in Hamm fordert von der Landesregierung zunächst eine „Risikovergleichsstudie“ und ein öffentliches Genehmigungsverfahren.

Der Atomexperte des Freiburger Ökoinstituts, Michael Sailer, hält die Standorte in Hamm und in Ahaus „für gleich unsicher, für gleich gefährlich“. Im Grundsatz sind sich die meisten atomkritischen Experten indes einig, „daß es keine Alternative zur Entladung des Kerns und zur Zwischenlagerung der Brennelemente bis zur Errichtung eines Endlagers gibt“. Erst der sichere Einschluß mache „das Ding unbrauchbar“ und deshalb sei abwarten auch nicht die angemessene Strategie, sagt ein Kritiker, dessen Rat bei BIs seit Jahren hoch im Kurs steht. Tatsächlich kommt diese Argumentation der des SPD-Wirtschaftsministers Einert sehr nahe. Offen bekennen mag sich der atomkritische Experte zu dieser im Kontrast zu den BIs stehenden Position indes nicht. Seinen Namen möchte er „lieber nicht“ in der Zeitung sehen.