BEI»JAZZINJULY«

SLOSCOSCOFIELDSCOFFS  ■  JOHN SCOFIELD QUARTET

Der Mann ist ein Buch mit vielen Kapiteln. Immer wieder mal schlägt er eins auf und gibt was daraus zum Besten. Vielleicht, honey, schmeckt's 'n bißchen zu holzig, hat so was von Terpentin mit'm Spritzer Lemon. Das vertreibt ziemlich die Motten. Aber er liest das nicht vor, er spielt, der Mann ist Jazz-Gitarrist.

Eins von den Kapiteln heißt Rhythm & Blues. Es steht aber nichts darüber drin, es riecht nur alles danach. Holz. Stapelweise Holz in der prallen Sonne. Holz, das vor lauter Hitze knackt. Diese herbe Note weht durch Scofields (genau, John Scofield ist der Name) Spiel, ist Teil seines Sounds, ist sein Markenzeichen, mehr noch als die Gitarre, die er spielt. Sie gibt seinen Solos die nötige Leichtigkeit, beugt Tränensäcken vor, bewahrt vor Sentimentalitäten. Selten wohl ist Blues so fremd-vertraut in den Jazz getragen worden. Keine einzige Phrase im typischen Klischee, seltsame Akkorde, äußerst seltsame Melodik, aber der Ton des Blues ist jederzeit getroffen.

Eins von den Kapiteln handelt von der Hochzeit zwischen Jazz und Rock. Und Funk. Und Soul. Eine fröhliche Polygamie, die nur das nicht ist, was sie nahelegt: eine Mischung. Kribbelt in der Nase. Oleander, Pfeffer, Jasmin. Verdünnt das Blut, kratzt im Hirn. Keine Mischung, sondern ein jeweils eigener Bastard. Mit Steve Swallow und Adam Nussbaum hatte Scofield ein Hochleistungstrio, das weit ausholende Spannungsbögen treffsicher im motorischen Zentrum der Hörer zu lancieren wußte. Die sägend verzerrte Gitarre, sonst nur im Rock branchenüblich, belebte noch einmal das Bebop-Material, welches zu dieser Zeit bereits gediegen und poliert in Vitrinen verwahrt wurde. Übrigens spielt Scofield immer nur eine Gitarre, die zu seinem Markenzeichen geworden ist, weil die Marke nicht sonderlich fashionable ist — eine Ibanez: eine Schülergitarre, ein Massenartikel, kann jeder haben, kann aber nicht jeder was mit anfangen. Mit diesem Instrument hat er all die verschiedenen Kapitel, all die verschiedenen Sounds geschrieben, kaum zu glauben.

Ein weiteres von den Kapiteln ist mit dem Namen Miles Davis überschrieben. Die Auftritte in dessen Band brachten seinen Namen in Umlauf. Schwül, schweißtreibend, die Luft ist zum Erbrechen satt. Gleich wird es runter regnen und die Orchideen gießen. Durch das rhythmische Gebräu der Davis-Band webte Sco die Quecksilberfäden seiner Soli, schillernd, Magma, zähflüssige Glut. Daß er die Gruppe nach drei Jahren wieder verlies, hat mit dem Platzhirschsyndrom zu tun: Scofield ist kein Sideman und Davis kann neben sich keine ebenbürtigen Gegenspieler mehr dulden.

Eines der neuesten Kapitel hat möglicherweise mit uns zu tun. Denn zu seinem heutigen Auftritt im Quasimodo bringt er das Quartett seiner letzten Platte »Meant To Be« mit. Der Saxophonist Joe Lovano bläst einen Ton, der nicht ganz von dieser Welt ist, zart und schwerelos wie Wolkenstoff, nichts knallt oder knackt, nichts schrillt oder klingelt in den Ohren, schimmernde Seifenblasen reihen sich zu irisierendem Tanz über die Changes der Balladen und Tunes. Auch Sco hat seinen Sound weitgehend von Widerborstigkeiten befreit und verfeinert, aber im Detail lauert noch immer der Hang zum Exzeß.

Der Baß ist Marc Johnson, ebenfalls sehr kultiviert und von großer Nonchalance, hält zusammen mit dem leicht treibendem Drummer Bill Stewart die filligranen Stücke im schwerelosen Raum. Zwischen den zitternden Polen von Zurückhaltung und Eruption fliegen die Funken in Zeitlupe.

Scofield belegt das Paradox vom polystilistischen Unikat.

Scofield scoffs at simple scopes. fh

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