Am besten steht der Eddy ohne Schwanz

■ Peter Malinski, Bremer Drachenbauer, über fliegende Bogenschützen, brennende Riesendrachen und den himmlischen Wind

2.000 Drachen hat er schon gebaut. Mehrmals hat er, auf der Suche nach neuen Formen und Ideen, Japan bereist. Neulich war er eingeladen in Junction, Texas, auf einem internationalen Drachenbauer-Workshop. Sein Geld verdient Peter Malinski als Leiter der Werkstatt für Manuellen Druck an der Bremer Hochschule für Künste.

taz: Warum fliegt ein Drachen?

Peter Malinski: Schwer zu sagen. Erstens, weil ich das will. Ich baue ihn so. Zweitens, weil die Fläche in den Wind gestellt wird. Und zwar so, daß vorn die Luft schneller strömt als hinten. So entsteht Unterdruck an der Rückseite, und der Drachen wird richtig emporgesogen. Nicht gedrückt, wie man oft meint.

Der „Fliegende Robert“ im „Struwwelpeter“ wird von seinem Schirm davongerissen. Droht uns das vom Drachen auch?

Nein. Sobald man den Boden un

hierhin bitte

den runden

Männerkopf

Peter MalinskiFoto: Jörg Oberheide

ter den Füßen verliert und abhebt, hört für den Drachen der Gegenzug auf, und er stürzt ab. Man kann aber, wenn man nicht losläßt, über den Boden geschleift werden. Ich hab das ein paarmal erlebt. Das kann gräßliche Verletzungen geben.

Wer kann denn zum Beispiel die Riesendinger, die Sie gebaut haben, noch halten?

Tja, bei den wirklich großen ist das schwer. Einer hatte 90 Quadratmeter Auftriebsfläche. Selbst einen PKW hätte der fortgerissen.

Gibt es Weltrekorde im Riesendrachen-Bauen?

Ja, Rekordhalter ist ein holländischer Drachen, gesponsort von Fokker, mit einer Fläche von 550 Quadratmetern. Das ist aber ein komisches Ding, so in der Mitte zwischen Heißluftballon und Drachen. In Longbeach, Washington, gab's mal einen Versuch mit einem ganz großen, so 1.500 Quadratmeter. Um den zu halten, hat man zwei Lastwagen, 30-Tonner, V-förmig zusammengestellt und an der Spitze das Zugseil festgemacht. Der Drachen aber hat sofort die beiden Vans zusammengeknallt. Einer der Erbauer wurde mit hochgerissen und ist aus 70 Metern Höhe tödlich abgestürzt. Ältere Rekorde sind aus Japan bekannt. Dort haben im Altertum ganze Dorfgemeinschaften riesenhafte Drachen aus Bambus und Reispapier gebaut, gut 500 Quadratmeter groß. Hunderte waren damit beschäftigt. Schließlich hat man

diese Drachen steigen lassen und geopfert.

Wie opfert man einen Drachen?

Die hatten lange Pechschwänze, die bis zum Boden reichten; die hat man angezündet, das Feuer fraß sich nach oben, und am Ende verflackerte das ganze Riesending in wenigen Sekunden.

Sie waren oft in Japan. Da gibt es ganz eigene Traditionen.

Unter anderem weiß man von Drachen, die eigens für den Kriegseinsatz gebaut worden sind. Starke Dinger, mit denen man nachts Bogenschützen hat

Die Idee für die Tetraeder-Zellen dieser Konstruktion stammt von Graham Bell, dem Erfinder des Telefons. Das Skelett des Drachens ist übrigens identisch mit dem Kristallgitter eines Diamanten.Foto: Huber

steigen lassen. Die nahmen dann von weit droben feindliche Stellungen unter Beschuß. Ob das Militärische aber der Ursprung des Drachens ist, weiß ich nicht.

Ihre eigenen Konstruktionen dienen ausschließlich friedlichen Zwecken. Umso größer ist der Formenreichtum.

Bloß neue Muster und Farben, das befriedigt einen ja nicht. Immer die gleiche Naht nähen, immer die gleichen Dreiecke. Trotzdem entwickelt sich eine Idee immer aus der anderen. Zappa nennt das „Conceptual Continuity“. Ich hab mal durch Zufall ein Messe

hierhin bitte das Foto

von dem Drachen

aus lauter geknickten

Dreiecken

bau-System in die Hand gekriegt, so eine Art Steckbausatz. Daraus hab ich einen variablen Drachen konstruiert, den man in Hunderten, ja Tausenden von Formen bauen könnte.

Will ein Drachenbauer beweisen, was alles fliegen kann?

Mag sein. Ich nicht so sehr. Ich sehe von vorneherein, was fliegt.

Da genügt der Augenschein?

Ja. Nur wie es fliegt, sieht man nicht. Ob etwas fliegt, seh ich sofort. Im Grund fliegt ja auch jede Fläche. Ich sag immer: Wenn ich die richtige Windgeschwindigkeit kriege, kann ich auch ein

Auto steigen lassen.

Das sieht bloß nicht gut aus. Gibt es eine Theorie des Schönen Drachens?

Sicher, bloß läßt sich die nicht artikulieren. Für mich entscheidend ist die Fernwirkung. Die Amerikaner tüfteln ihre Drachen ganz fieselig aus, aber in hundert Metern Entfernung erkennt man nichts mehr.

Das heißt, Sie theatralisieren Ihre Drachen ein bißchen und schminken sie „auf Distanz“?

Ja. Große Muster, kräftige Farben, dramatische Kontraste.

Unser guter alter Klassiker bestach immer durch Schlichtheit.

Der „Eddy“.

Eddy?

Ja, Eddy. Nach seinem Erfinder. Da gibt's sogar ein Patent drauf.

Ist der noch zu verbessern?

Schwer. Ich hab's versucht. Aber der ist von Haus aus so unproblematisch. Und leicht und schnell zu bauen. Deswegen beliebt. Man kann ihn auch hervorragend in Drachen-Ketten verwenden. Ich hab mal eine mit 1.000 Drachen gemacht. Den Rekord halten natürlich die Japaner. Die haben 9.000 Drachen hintereinander an einer einzigen Leine aufgereiht. Lauter Eddies, allerdings ohne Schwänze. Früher hat man den ja immer mit Schwanz gebaut. War Blödsinn. Der fliegt ohne besser.

Was stabiliert den Eddy, wenn nicht sein Schwanz?

Den macht stabil, daß er nicht straff gespannt ist. Der wird „weich“ gebaut, so daß im Wind ums Stabkreuz herum sowas wie Taschen entstehen, die ihrerseits die Luftströme teilen und lenken.

Und wenn der Drachen dann steigt, was empfindet der Konstrukteur?

Maßlose Enttäuschung bis Freudentränen, je nachdem. Im Glücksfall muß alles stimmen, gerade Wind und Wetter. Das ist ja ein Einklang, eine Wechselwirkung zwischen Erfindungsgeist und Naturlaune. Hier in Bremen

„Eigentlich fliegt alles. Wenn ich den richtigen Wind kriege, kann ich auch ein Auto steigen lassen.“

allerdings klappt das nie so richtig. Da macht man ab 'ner bestimmten Größe immer Bruch. Man muß an die Küste. Wenn da aber der Wind ganz glatt und ohne Turbulenzen vom Wasser her einfällt, und wenn der Drachen da oben steht und bewegt sich nicht, dann, muß ich sagen, bin ich ganz glücklich.

Solche schwebenden Drachen bieten sich doch auch für Inszenierungen geradezu an.

In den Staaten vor allem gibt es regelrechte Shows. Da werden nachts die Drachen von farbigen Scheinwerfern angestrahlt, oder sie nehmen selbst Leuchtkörper mit in die Höhe. Ganz verrückte Leute lassen diese Lichter über Fernbedienung flackern oder sonstwas. Es sind auch schon Choreographien für lenkbare Drachen entwickelt worden.

Wär' für Sie das sogenannte Drachenfliegen was?

Ich hab schon gern die Bodenhaftung. Interview: Manfred Dworschak