'Morgen‘ endgültig im Archiv

■ Rund 70 MitarbeiterInnen der abgewickelten Springer-Zeitung 'Der Morgen‘ demonstrierten jetzt zum letzten Mal vor Springer-Aktionären im ICC

Berlin. »1 Tamm= 14 Millionen Mark. 150 abgewickelte 'Morgen‘- Leute= null Mark?« Mit diesem Transparent zum Ruhegeld des scheidenden Springer-Vorstandschefs Peter Tamm protestierten gestern morgen rund 70 Ex-MitarbeiterInnen des 'Morgens‘ bei der Aktionärsversammlung der Springer AG im ICC. Das preisgekrönte 1990 übernommene Ex-LDPD-Blatt war am 11. Juni dieses Jahres von einem Tag auf den anderen eingestellt worden. Danach hatten die 'Morgen‘- Leute dem Konzern vorgeworfen, daß dieser wie ein »Großkombinat« agiert habe. Springer habe die Zeitung fallenlassen, um Geld in den Umzug des Flaggschiffs 'Die Welt‘ nach Berlin zu stecken.

Die Springer-Aktionäre mußten das ICC gestern durch ein Spalier von 'Morgen‘-MitarbeiterInnen betreten. Auf Flugblättern wurde kritisiert, daß eine mehrmals mündlich gegebene drei- bis fünfjährige Bestandsgarantie für den 'Morgen‘ nicht eingehalten worden sei. Auch die weitgehenden Übernahmeversprechen für die MitarbeiterInnen seien nicht eingehalten worden. Höchstens ein Drittel der Beschäftigten werde wieder bei Springer übernommen. Bislang seien fünf Journalisten bei 'Morgenpost‘, 'BZ‘ und 'Welt‘ untergekommen.

Der am Dienstag unterschriebene Sozialplan (drei Monatsgehälter Abfindung plus 36 Prozent eines Gehalts pro Zugehörigkeitsjahr — Obergrenze 36.000 Mark) wurde als relativer Erfolg bezeichnet. Bis zum 31. 12. gibt es Kurzarbeitergeld. Zu Beginn der Verhandlungen war vom Betriebsrat gefordert worden, die Gehälter drei Jahre lang weiterzuzahlen.

Kritisiert wurde erneut, daß Springer für den 'Morgen‘ keinerlei Werbung gemacht habe und die Zeitung aus dem eigenen Vertriebssystem ausgegrenzt worden sei. Auch sei der Anzeigen-Akquisition empfohlen worden, nicht für den 'Morgen‘ tätig zu werden. Statt dessen stecke der Konzern sein Geld in das spanische Boulevardzeitungsprojekt 'Claro‘. Gemessen am »politisch- moralischen Selbstverständnis des Hauses«, sei die Einstellung des 'Morgens‘ »kurzsichtig und blamabel«. Tatsächlich ist in den Reden des Vorstandschefs Tamm und des Aufsichtsratsvorsitzenden Bernhard Servatius viel die Rede von den »Bedürfnissen« der Ostleser. Das »Zusammenwachsen von Ost- und Westdeutschland« gelte es »publizistisch zu fördern« — doch für den 'Morgen‘ gab es kein Geld. Zwar lobt Tamm das »allseits anerkannte journalistische Profil« der Zeitung, das Blatt aber habe »stetig an Auflage verloren, weil es als Zweit- beziehungsweise Drittzeitung überaus preisempfindlich« gewesen sei — eine gewagte Theorie angesichts des Preises von 50 Pfennig.

Mit dem gestrigen Tag wird aus dem 'Morgen‘ endgültig Archivgeschichte. »Weitere Proteste werden nichts mehr bringen, das war unsere letzte symbolische Aktion«, meinte eine Betriebsrätin. kotte